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Literarische Klassiker in neuem Gewand: Bungô Stray Dogs

Abb. 1 Manga auf Deutsch: Egmont

Im Franchise „Bungô Stray Dogs“ treten die bekanntesten Autoren der modernen japanischen Literatur auf, bekämpfen sich gegenseitig und sehen dabei auch noch verdammt gut aus. Ein deutsches Pendant könnte man sich ungefähr so vorstellen: Thomas Mann, mit schulterlangen Haaren, und ausgestattet mit der besonderen Superhelden-Fähigkeit „Zauberberg“. Das klingt erst einmal schräg, hat sich aber zu einer sehr erfolgreichen Manga- und Anime-Serie entwickelt. Jonas Drechsel und Philipp Eckershoff stellen uns das Franchise vor und erläutern, wie genau die Bezüge zur Welt der Literatur funktionieren. 

Hier auf dem Blog wurden bereits mehrere Autor/innen, deren Werke (und Adaptionen davon) vorgestellt, die der Meiji-Zeit und somit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis hin zum frühen 20. Jahrhundert entsprungen sind. Autoren wie Mori Ôgai, Dazai Osamu und Akutagawa Ryûnosuke gehören unbestritten zu den literarischen Größen dieser Zeit und ihre Werke sind echte Klassiker – doch welche Relevanz haben sie für die heutige Popkultur? Natürlich finden wir diverse Adaptionen der Originalwerke im Bereich Film und Manga, doch spielen die Autoren auch darüber hinaus eine Rolle für die Jugendkultur des gegenwärtigen Japan? Ein Beispiel dafür liefert uns der Manga „Bungô Stray Dogs“ (jap. 文豪ストレイドッグス, Bungô sutorei doggusu), ein seinen-Manga, der seit 2012 produziert wird und aus der Feder von Asagiri Kafka (Story) und Harukawa Sango (Zeichnungen) stammt. Nicht nur die Hauptfiguren dieses Manga, sondern auch andere Elemente wurden durch verschiedenste Autoren der modernen japanische Literatur und deren Werke inspiriert. Wie sich das äußert, stellen wir im Folgenden anhand einiger Beispiele genauer dar.

Bevor wir auf den Inhalt des Mangas selbst eingehen, müssen wir jedoch zuerst Bezug auf den Autor hinter „Bungô Stray Dogs“ nehmen. Denn auch dieser hat einen berühmten Autor des frühen 20. Jahrhunderts als Inspiration herangezogen, Franz Kafka, bekannt für sein Werk „Die Verwandlung“, zu dem wir hier auf dem Blog auch einige Artikel haben. Da davon auszugehen ist, dass sowohl der Künstlername des Autors als auch die Verwandlung des Protagonisten in „Bungô Stray Dogs“ (auf den wir gleich noch eingehen) Anlehnungen an das bekannte Werk des deutschsprachigen Schriftstellers sind, wird von vornherein eine gewisse Verbundenheit zur Literatur deutlich. Aber nicht nur Franz Kafka diente an dieser Stelle als Inspiration; tatsächlich sind die meisten wichtigen Figuren in Asagiris Manga benannt nach prominenten Vertretern japanischer, und später auch russischer und amerikanischer Literatur. So stößt man im Manga selbst auf Dazai Osamu, Akutagawa Ryûnosuke, F. Scott Fitzgerald, Mark Twain und Nakajima Atsushi, welcher als Hauptfigur und somit Dreh- und Angelpunkt der Geschichte auftritt. Angesiedelt ist die Geschichte des Manga in einer fiktiven Version von Yokohama, angelehnt an die reale Großstadt direkt neben Tokyo, was vor allem durch die Abbildung prominenter Sehenswürdigkeiten zur Geltung kommt. Das beliebte Riesenrad „Cosmos Clock 21“, das man in der Hafengegend Yokohamas nur schwer übersehen kann, ist etwa Teil einiger Werbeposter und auch im Anime zu sehen. In einem ruhigen Teil genau dieser Stadt wird der junge Streuner Atsushi durch den erfahrenen Detektiv Dazai Osamu für die Armed Detective Agency rekrutiert, ein Zusammenschluss verschiedener Individuen, die sich den Schutz Yokohamas vor den dunklen Machenschaften der sogenannten Port Mafia zur Aufgabe gemacht haben. Der Clou des Ganzen? Alle Figuren besitzen spezielle Fähigkeiten, am ehesten zu vergleichen mit Superkräften, die nicht nur nach bestimmten Buchtiteln jener Autoren benannt sind, sondern meistens grob Inhalte oder Kernaussagen dieser Werke widerspiegeln.

Abb. 2 Tigergestalt Nakajimas

Wie bereits kurz erwähnt zeigen sich bei dem Protagonisten der Serie, Nakajima Atsushi, Hinweise auf das Werk Kafkas, was auch auf den Fakt zurückzuführen ist, dass „der echte“ Nakajima Atsushi (1909–1942) von Franz Kafka beeinflusst war. So handelt Nakajimas Erzählung Sangetsuki (山月記, „The Moon over the Mountain“, 1942) von einem Poeten im Tang-zeitlichen China, der sich in einen Tiger verwandelt, was als Parallele zur Erzählung „Die Verwandlung“ gesehen werden kann. In dem Manga kommt diese Transformation in Atsushis Fähigkeit, „Beast Beneath the Moonlight“ (jap. 月下獣 gekkajû), zum Ausdruck. Diese erlaubt es ihm, sich in einen „Wertiger“ (das Tiger-Pendant zum Werwolf) zu verwandeln und so seine körperliche Stärke um ein Vielfaches zu multiplizieren. Die Tigergestalt wird im Manga sehr dynamisch und teilweise abstrakt dargestellt (vgl. Abb. ). Literarische Klassiker in neuem Gewand: Bungô Stray Dogs weiterlesen

Hebi ni piasu als josei-Manga: Ein Skandalwerk wird „bräver“

Kanehara Hitomis „Skandalwerk“ Hebi ni piasu (2003) ist für seine expliziten Sex- und Gewaltszenen bekannt. Wie kann ein solches Werk für eine  josei-Manga-Zeitschrift adaptiert werden, die als Mainstream-Medium gewisse Grenzen im Spektrum des Darstellbaren beachten muss? Saniye Aydemir und Kang Gao haben sich die Manga-Version von Watanabe Peko aus dem Jahr 2004 angeschaut und stellen fest: Hebi ni piasu fällt hier harmloser und dadurch auch etwas banaler aus.

Im Folgenden stellen wir Kanehara Hitomis Werk Hebi ni Piasu 蛇にピアス (dt.„Tokyo Love“) und die gleichnamige Manga-Adaption von Watanabe Peko vor. Zunächst zur Autorin: Kanehara Hitomi 金原 ひとみ wurde am 08. August 1983 in Tōkyō geboren. Mit zwölf Jahren begann sie mit dem Schreiben. Die Schule brach sie ab, weil sie – wie sie selbst gesagt – besseres mit ihrer Zeit zu tun wusste. Neue Eindrücke gewann Kanehara Hitomi durch ein Auslandsjahr in San Francisco. Nach der Rückkehr zog sie aus der Wohnung ihrer Eltern aus, und ihr Vater, Kanehara Mizuhito, versorgte sie mit Büchern, die sie allesamt verschlang – als wollte sie sich mit dem fremden Leben vollstopfen. Als Kanehara 19 Jahre alt war, schockierte sie im Jahr 2004 ganz Japan mit ihrem Buch Hebi ni Piasu („Snakes and Earrings“). Dafür bekam die Autorin zunächst den Subaru-Preis, und anschließend den 130. Akutagawa-Preis, eine Art literarischer Adelstitel in Japan. Damit wurde Kanehara die bisher zweitjüngste Preisträgerin (nach Wataya Risa, die gleichzeitig mit ihr ausgezeichnet wurde).
Kanehara Hitomi hat zwei Töchter, von denen eine 2007 und eine 2011 geboren wurde. 2011 bis 2018 lebte sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Frankreich. Mittlerweile ist die Familie wieder nach Japan zurückgekehrt. Kanehara Hitomi ist weiter literarisch aktiv und hat weitere Preise gewonnen (u.a. 2012 den Bunkamura Deux Magots Literary Prize für Mazāzu マザーズ [Mothers] und 2020 den Watanabe Jun’ichi Literary Prize für Atarakushia アタラクシア [Ataraxia]).

In Hebi ni Piasu trifft die Protagonistin Rui auf den charmanten Ama, der sie mit seiner gespaltenen Schlangenzunge fasziniert. Sie zieht mit ihm zusammen und geht eine Beziehung mit ihm ein. Rui lässt sich selbst die Zunge piercen, um das Loch schrittweise zu dehnen und letztendlich ihre Zunge zu spalten. Dieser Prozess der Zungenspaltung begleitet Rui durch das ganze Werk. Zusammen mit Ama besuchen sie Shiba, Tattoo- und Bodymodification-Artist und Besitzer des Tattoostudios „Desire“. Rui findet Gefallen an dem rätselhaften Mann und besucht ihn später alleine ohne Ama. Inspiriert von Amas Drachen-Tattoo und Shibas Kirin-Tattoo (ein japanisches Fabelwesen), lässt sich Rui ebenfalls ein großes, von Shiba gestaltetes Motiv auf ihren Rücken stechen. Sie beschreibt, wie der Drache und der Kirin auf ihrem Rücken tanzen und sie bis ans Ende ihres Lebens begleiten würden, symbolisch für ihre Beziehung mit Ama und Shiba. Mit dem Stechen des Tattoos beginnen Shiba und Rui eine sexuelle, sadomasochistische Beziehung, wohingegen Ama vermehrt Rui seine Liebe und Zärtlichkeit beweist.  Hebi ni piasu als josei-Manga: Ein Skandalwerk wird „bräver“ weiterlesen

Vom Ungeziefer zum Mensch: Murakamis „Samsa in Love“ als Manga-Adaption

Murakami Haruki ist bekanntermaßen ein großer Kafka-Fan. In der Erzählung „Samsa in Love“ zeigt er uns, wie die „Verwandlung“ hätte weitergehen können, wenn Gregor Samsa sich zurück verwandelt hätte: Hier wird nun die Menschengestalt zum Ungewohnten, Irritierenden. Die Manga-Adaption dieser Geschichte von Jc Deveney und PMGL, die uns Henrietta Born und Meike Grolman hier vorstellen, transportiert dieses Gefühl sehr gut.

Samsa in Love oder 恋するザムザ ist eine Kurzgeschichte vom japanischen Schriftsteller Murakami Haruki. Die Geschichte erschien 2013 in Japan in der Sammlung 恋しくて TEN SELECTED LOVE STORIES. Die Geschichte ist eine Fortsetzung von Franz Kafkas berühmter Erzählung „Die Verwandlung“, in der der Protagonist Gregor Samsa nicht stirbt, sondern wieder als Mensch erwacht. Die Manga-Adaption von den französischen Künstlern Jc Deveney und PMGL erschien 2019 in der Reihe Haruki Murakami 9 Stories. Die Sammlung wurde bis jetzt nur in japanischer Sprache veröffentlicht.

Gregor Samsa erwacht verwandelt in seinem Bett. Er weiß nicht, wo er ist. Er weiß nur, dass er ein Mensch ist und Gregor Samsa heißt. Woher er dies weiß, ist ihm nicht bewusst. Genau wie er auch nicht weiß, wer oder was er vorher gewesen sein könnte. So beginnt die Geschichte über Gregor Samsas „Menschwerdung“ bei Murakami Haruki. Gregor kann sich kaum bewegen und jeder Gedanke tut ihm weh. Er versucht seinen Körper zu verstehen und ihn zu bewegen, was ihn jedoch viel Kraft kostet. Als er ein starkes Hungergefühl verspürt, macht er sich auf den Weg etwas zu essen zu finden.  Vom Ungeziefer zum Mensch: Murakamis „Samsa in Love“ als Manga-Adaption weiterlesen

Ein unsichtbarer Gregor Samsa

Franz Kafka wollte nicht, dass der Protagonist seiner Erzählung „Die Verwandlung“, Gregor Samsa, in seiner Ungeziefer-Gestalt bildlich dargestellt wird. Künstlerinnen und Künstler, die das Werk für Manga oder Film adaptieren wollen, stehen daher vor einem Dilemma. Die Nishioka-Geschwister haben für ihre Version der „Verwandlung“ eine Lösung für dieses Problem gefunden: Sie stellen Gregor Samsa einfach gar nicht dar. Wie Imke Seidel uns hier erläutert, funktioniert das erstaunlich gut.

In diesem Blogartikel möchte ich eine Adaption von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ vorstellen. Das Werk trägt den Titel „The Metamorphosis“ (henshin 変身) und erschien im April 2010 in dem Sammelband „Kafka (カフカ): classics in comics“. Die beiden Mangaka Satoru und Chiaki Nishioka, die Geschwister sind und unter dem gemeinsamen Namen Nishioka Kyôdai veröffentlichen, präsentieren hier verschiedene Adaptionen zu Kafkas Werken. Neben der Verwandlung sind u.a. „Ein Hungerkünstler“ oder „Ein Landarzt“ enthalten. Die Adaptionen sind offiziell nur auf Japanisch erhältlich, es existiert aber eine englische Scanlation, die von Ikeuchi Osamu bzw. Willa und Edwin Muir angefertigt wurde.
Bevor ich aber genauer auf die Adaption von „Die Verwandlung“ eingehe, möchte ich kurz das Nachwort von Nishioka Satoru einbeziehen, welches sich speziell auf  die Umsetzung der „Verwandlung“ bezieht.

Hier äußert sich der Mangaka zu seinen ursprünglichen Gedanken, keine Manga-Adaption zu Kafkas „Die Verwandlung“ verfassen zu wollen. Da Kafka selber den Wunsch hatte, dass der Protagonist der Geschichte, Gregor Samsa, nicht bildlich dargestellt werden soll, erschien es Nishioka Satoru unmöglich, einen Manga entsprechend diesem Wunsch zu zeichnen. Zudem empfand Nishioka die Geschichte zunächst als nicht besonders interessant. Während er andere Kurzgeschichten Kafkas mehrfach gelesen hatte, hatte er „Die Verwandlung“ nur ein einziges Mal vor vielen Jahren gelesen und seitdem sei sie für ihn in Vergessenheit geraten. Die allgemeine Meinung, dass die Geschichte eine Metapher für Einsamkeit oder eine Parabel des modernen Lebens sei, erschien ihm schlichtweg langweilig. Aufgrund dieser persönlichen Empfindung wollte er „Die Verwandlung“ auch nicht in den Sammelband aufnehmen, sah sich jedoch aus verkaufsstrategischen Gründen dazu gezwungen. Ein unsichtbarer Gregor Samsa weiterlesen

Die Liebe, flüchtig wie ein Glühwürmchen

Obwohl Murakami Haruki gegenwärtig der populärste japanische Autor ist, wurden seine Werke noch wenig in anderen Medien adaptiert. Gerade ändert sich das zumindest für den Bereich Manga: In letzter Zeit sind einige Kurzgeschichten von Murakami als graphische Erzählungen erschienen. Verena Nobel und Maurice Werner stellen hier das Beispiel Hotaru („Glühwürmchen“, 1983) vor, das Moriizumi Takehito für seine Manga-Version von Ende 2019 in poetische Bilder übersetzt hat.

Hotaru (dt. Titel „Glühwürmchen“) ist eine Kurzgeschichte aus der Feder des international gefeierten Autors Murakami Haruki. Die Kurzgeschichte gilt als das Ursprungswerk für einen der bekanntesten Erfolgsromane Murakamis: Noruwei no mori (dt.Titel „Naokos Lächeln“). Hotaru wurde in Deutschland 2009 in einer Sammlung bestehend aus 24 Kurzgeschichten mit dem Namen Mekurayanagi to nemuru onna (dt. Titel „Blinde Weide, schlafende Frau“) veröffentlicht. Erstmals erschienen ist die Geschichte jedoch in der Zeitschrift Chūōkōron im Jahr 1983. Neben den Ausgaben in englischer und deutscher Sprache wurde Hotaru zudem in weitere 10 Sprachen übersetzt.

Wer Murakami kennt, der weiß, dass der Autor in seinen Geschichten gerne über bestimmte übergreifende Themen schreibt. Die Themen Liebe und Verlust, Freundschaft, Versöhnung und Entfremdung bis hin zur sexuellen Identität und dem Tod sind allesamt prominent in seinen Erzählungen vertreten. Auch in diesem Werk Murakamis findet sich der Leser schnell in einer Geschichte über Liebe und die Verarbeitung von Verlust wieder. Hotaru erzählt die Geschichte eines Studenten, der gemeinsam mit der Geliebten seines toten Freundes über dessen Selbstmord trauert. Die Geschichte beginnt mit dem Umzug des achtzehnjährigen Protagonisten nach Tokyo in ein Studentenwohnheim. Nach langer Zeit der Distanzierung trifft er die Freundin seines toten besten Freundes in Tokyo und entdeckt durch die gemeinsamen Spaziergänge durch die Stadt eine längst vergessene Freundschaft neu.  Die Liebe, flüchtig wie ein Glühwürmchen weiterlesen

Akutagawa zum Anhören – Teil 1: Im Dickicht

Akutagawa Ryûnosuke, Wikimedia CC

Lust, einen Klassiker der modernen japanischen Literatur ganz gemütlich anzuhören? Wir bieten in zwei Teilen Werke von Akutagawa Ryûnosuke als Podcast. Hier: „Im Dickicht“.

Akutagawa Ryûnosukes Erzählung Yabu no naka („Im Dickicht“, 1922) ist eine Adaption einer Geschichte aus der mittelalterlichen Sammlung Konjaku Monogatarishû. Der Autor verleiht dieser Geschichte eine ganz neue Note, indem er das Geschehen (ein Verbrechen) aus den Perspektiven verschiedener beteiligter Personen schildern lässt. Die Zeugen widersprechen sich – und Akutagawa überlässt seinem Publikum die Entscheidung darüber, was hier nun die Wahrheit sein könnte, oder ob es so etwas wie eine objektive Wahrheit überhaupt geben kann.

„Im Dickicht“ liegt in einer deutschen Übersetzung von Jürgen Berndt vor, die in dem Band „Rashômon“ im Verlag Sammlung Luchterhand erschienen ist (2001).

Wir präsentieren diese Erzählung, die zur Vorlage für Kurosawa Akiras bekannten Film Rashômon (1950) wurde, hier im Hörbuch-Format. Wir wünschen viel Spaß beim Anhören!

Podcast-Produktion:
Noah Brelage, Hannah Greiner

Rollen:

Ansager – Hendrik Heider
Vom Untersuchungsrichter befragter Holzfäller – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragter Priester – Jana Hermanski
Vom Untersuchungsrichter befragter Freigelassener – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragte alte Frau – Jana Hermanski
Tajomaru – Noah Brelage
Bekenntnis einer zum Tempel Shimizu gekommenen Frau – Jana Hermanski
Der Tote, sich des Mundes einer Totenbeschwörerin bedienend – Noah Brelage

“Die Verwandlung” in eine menschenfressende Horror-Raupe

Hino Hideshis Horror-Klassiker “Bug Boy” ist eine ganz besondere Manga-Adaption von Franz Kafkas “Verwandlung”. Julia Weltring und Patrick Görtsgen, die das Werk hier besprechen, sehen in dieser grotesken, gesellschaftskritischen Version positive Anklänge: Der Protagonist ist zwar ganz besonders monströs, hat aber auch mehr Handlungsmacht als bei Kafka.

In seinem Manga “Bug Boy” (毒虫小僧 Dokumushi kozō), der in Japan 1975 erschienen ist, präsentiert Hino Hideshi eine Horror-Adaption  von Franz Kafkas Werk “Die Verwandlung”. Der Mangaka (geb. 1946), dessen Arbeit dem Horror-Genre zugerechnet wird, ist bekannt für seinen Zeichenstil, der geprägt ist von großen, mit Adern übersäten Augen, sowie von unrealistischen Körperproportionen. Gepaart mit gesellschaftskritischen Thematiken sowie den eher kindlich aussehenden Figuren, wirken die dargestellten Szenen in seinen Zeichnungen nur noch grotesker und schon surreal. Aber genau diese Art der Präsentation nutzt Hino, um das einsame Leben und die in dieser Version gezeigte Verwandlung des Hauptcharakters auf verstörende Art und Weise dem Leser näher zu bringen.

“Bug Boy” dreht sich rund um das Leben des zurückgezogenen Sanpei, der mit seinen Eltern sowie seinen zwei Geschwistern zusammenlebt. Schon früh merken seine Eltern, dass er sich eher zurückzieht und Freude an Würmern, Maden und anderen Insekten findet, was ihn schnell zum Opfer von Mobbing und Ausgrenzung durch seine Mitschüler werden lässt. Anders als seine beiden Geschwister, konzentriert er sich weniger auf die Schule, ist dort gar unaufmerksam und verkriecht sich lieber in seinem Rückzugsort: eine Müllkippe. Dort warten allerlei Tiere auf ihn, die er selbst als seine einzigen Freunde ansieht; er wünscht sich, ein Teil von ihnen zu werden. Eines schicksalhaften Abends erfährt der Leser von dem auktorialen Erzähler, dass Sanpei von einer roten, stachligen Raupe gebissen wird, die er kurz zuvor ausgespien hat. Von da an beginnt seine erste Verwandlung.  “Die Verwandlung” in eine menschenfressende Horror-Raupe weiterlesen

Käfer oder Mensch? – Eine Metamorphose zum wahren Ich

Abb. 1: Gregor Samsa in Hybridgestalt

Kafkas Erzählung “Die Verwandlung” hat in Japan viele Fans. So ist es auch nicht verwunderlich, dass gleich mehrere Manga-Adaptionen dieses Werks erschienen sind. Wir stellen hier auf dem Blog einige davon vor.  Einen recht klassischen Ansatz findet man in der Version aus der Manga-Reihe Manga de dokuha, die sich Lisa Lubs und Natalie Malocha näher angeschaut haben. Die beiden stellen fest: Die Geschichte wird hier emotionaler und lässt neue Interpretationen zu. 

Dass der allseits bekannte Klassiker “Die Verwandlung” von Franz Kafka als Manga-Adaption überzeugen und sogar eine weitere Dimension der Interpretation zulassen kann, beweist das Werk Henshin 変身 (“Metamorphosis”) aus der Manga-Reihe “Manga de Dokuha” (jap. まんがで読破, dt. „Durchlesen mit Manga/Comics“). Diese Reihe des Verlags East Press hat es sich zum Ziel gesetzt,  junge japanische Leser/innen an klassische literarische Werke heranzuführen. Konzipiert werden die Manga von Maruo Kôsuke, während sie vom Künstlerkollektiv Variety Art Works gezeichnet werden. Umgesetzt wurden neben Kafkas „Die Verwandlung“ (1915) u.a. „Ningen Shikkaku“, „Das Kapital“, „Krieg und Frieden“, aber auch kontroverse Werke wie „Mein Kampf“. Die Kafka-Adaption ist nur auf Japanisch erschienen, es gibt aber eine englische Scanlation (Fan-Übersetzung) des Werks, die wir hier als Grundlage genommen haben.

In Kafkas Ursprungswerk wird die Geschichte von Gregor Samsa erzählt, der aus ungeklärten Gründen eines Morgens in seinem Bett aufwacht und merkt, dass er sich in ein Insekt verwandelt hat. Zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester Grete in einer Wohnung in Prag lebend, sind die Familienverhältnisse von Abhängigkeit und finanziellen Nöten geprägt. Gregor ist Reisender und Tuchhändler, der Alleinverdiener der Familie und versucht, mit seinem Einkommen die Schulden seines bankrott gegangenen Vaters zu begleichen. Da es für Gregor nach seiner Verwandlung unmöglich ist zu arbeiten, wird er zunächst von Schuldgefühlen gegenüber seiner Familie geplagt und lehnt seine neue Ungeziefergestalt vehement ab. Grete, die sich fortan um Gregor kümmert, beschließt zusammen mit der Mutter, Gregors Zimmer auszuräumen, um ihm mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Jedoch fällt seine Mutter beim Anblick von Gregors Käfergestalt in Ohnmacht. Daraufhin wird Gregor von seinem aufbrausenden Vater attackiert und von einem geworfenen Apfel schwer verletzt. Der Vorfall hinterlässt bei Gregor nicht nur physische, sondern auch psychische Spuren.  Käfer oder Mensch? – Eine Metamorphose zum wahren Ich weiterlesen

Der Horror des Menschseins: Itô Junjis Ningen Shikkaku

Ningen Shikkaku von Dazai Osamu ist ein erschreckendes, verstörendes Werk. Da liegt es gar nicht so fern, diesen Klassiker der modernen japanischen Literatur ins Horror-Genre zu überführen. Der Meister des Horror-Manga, Itô Junji, hat dieses Projekt gewagt und eine Version mit noch mehr Toten, halluzinativen Bildern und einem Auftritt des Autors geschaffen. Malina Sieger und Lisa Schulz geben uns hier einen Einblick in dieses Monumentalwerk.  

In diesem Artikel stellen wir eine Manga-Adaption von Dazai Osamus Roman Ningen Shikkaku  (dt. Titel  „Gezeichnet“) vor. Der gleichnamige Manga wurde 2017 bis 2018 von dem berühmten Horror-Manga-Künstler Itō Junji für das seinen-Magazin Big Comic Original gezeichnet und im Februar 2019 in Übersetzung beim englischen Verlag VIZ Media unter dem Titel „No Longer Human“ veröffentlicht. Das Original von Dazai Osamu wurde 1948 vom japanischen Verlag Chikuma Shobō im Serienformat in der Zeitschrift Tenbō veröffentlicht, woraufhin 1958 die englische Übersetzung folgte. Es handelt sich dabei um ein stark autobiografisch beeinflusstes Werk, welches unter anderem Themen wie Suizid und Drogenabhängigkeit behandelt. Der Autor beging kurz nach der Veröffentlichung des letzten Teils des Werkes selbst Suizid. No Longer Human wird als Dazais Meisterwerk gehandelt und ist bis heute der am zweitmeisten gelesene Roman in Japan, während der erste Platz Natsume Sōsekis Kokoro vorbehalten bleibt. Der Roman wurde bereits mehrfach als Manga, Film und Anime (Serie und Film) adaptiert.  Der Horror des Menschseins: Itô Junjis Ningen Shikkaku weiterlesen

Verstörend wie eh und je: Ningen Shikkaku im digitalen Zeitalter

Wie würde die Geschichte von Ôba Yôzô wohl heute verlaufen? Margarethe Betz stellt hier eine Manga-Adaption von Dazai Osamus Ningen Shikkaku vor, die der bekannte Mangaka Furuya Usamaru umgesetzt hat. Der Protagonist veröffentlicht hier seine Lebensbeichte als Blogartikel, und auch sonst ist die Geschichte in der Jetzt-Zeit angekommen. Von ihrem Potential, Leser/innen zu verstören, hat sie dabei nichts verloren. 

Dazai Osamu ist einer der bedeutsamsten Autoren der modernen japanischen Literatur. Sein wohl bekanntestes Werk ist der shishôsetsu („Ich-Roman“) Ningen shikkaku (deutsch: „Gezeichnet“, 1948), welcher das von Verlorenheit und Schuldgefühlen geprägte Leben eines jungen Mannes schildert. Im Laufe der Jahre wurde das Werk mehrfach in verschiedenen Medien adaptiert. Eine solche Adaption wurde Ende der 2000er von dem Mangaka Furuya Usamaru angefertigt und wurde unter dem gleichen Titel wie seine literarische Vorlage (Ningen shikkaku, im Englischen auch No longer human) von 2009 bis 2011 durch den Verlag Shinchôsha publiziert. Der Manga erschien zunächst in der Zeitschrift Weekly Comic Bunch, wurde aber dann, nachdem diese nach der Veröffentlichung ihres letzten Exemplars im Herbst 2010 eingestellt wurde, von Monthly Comics @Bunch übernommen. Beide Zeitschriften richteten sich primär an eine seinen-Zielgruppe, also an eine erwachsene männliche Leserschaft. Er wurde anschließend in drei Sammelbänden veröffentlicht und wenig später durch den Verlag Vertical ins Englische übersetzt. Für diese Übersetzung wurde eine gespiegelte Version der Adaption angefertigt, welche sich von links nach rechts liest und nicht, wie es sonst bei Manga üblich ist, von rechts nach links. Interessanterweise erschien der erste gebundene Band der Reihe ungefähr zum 100. Geburtstag von Dazai Osamu.  Verstörend wie eh und je: Ningen Shikkaku im digitalen Zeitalter weiterlesen

Ningen Shikkaku: Ein Leben zwischen Clownerie und Verzweiflung

Diese Woche widmen wir uns Ningen Shikkaku von Dazai Osamu, einem der bekanntesten Werke der modernen japanischen Literatur. Julia Schmeisser und Denise Schroeren stellen uns eine Manga-Adaption dieses Klassikers vor, die in der Reihe Manga de dokuha erschienen ist. Diese Version zeichnet sich durch besonders expressive Mittel aus, wie zum Beispiel die „Gesichtslosigkeit“ der meisten Figuren.

Dazai Osamu gilt als einer der gefeiertsten Autoren des 20. Jahrhunderts in der japanischen Literatur. Besonders sein Werk Ningen Shikkaku (jap. 人間失格, dt. etwa: „als Mensch disqualifiziert“, 1948) – „Gezeichnet“ in deutscher Übersetzung – erfreut sich weltweit großer Beliebtheit. Sogar Dazai selbst spricht davon, dass Ningen Shikkaku sein bestes Werk sei. Dieses Buch, welches von Schwermut und den tiefen Abgründen des menschlichen Geistes erzählt, gehört zu den meistgelesenen Klassikern der Nachkriegszeit.
In der Manga-Reihe Manga de dokuha (jap. まんがで読破, dt. „Durchlesen mit Manga/Comics“, erscheint seit 2007) des Verlages East Press wird Dazais Geschichte bildstark aufgearbeitet. Manga de dokuha hat das Ziel, der jungen japanischen Leserschaft Literatur näher zu bringen; in der Reihe finden sich auch politisch geprägte Werke wie Kanikôsen („Das Fabrikschiff“) von Kobayashi Takiji (1929) im Manga-Format. Die literarischen Vorlagen werden durch Maruo Kôsuke schriftlich aufgearbeitet und herausgegeben, während das Künstler-Kollektiv Variety Art Works die Manga zeichnet. Einige der Bände, unter anderem Teile von „Gezeichnet“, wurden von der amerikanischen Scanlation-Plattform JManga ins Englische übersetzt.  Ningen Shikkaku: Ein Leben zwischen Clownerie und Verzweiflung weiterlesen

Maihime emanzipiert sich: The Times of Botchan

Adaptionen moderner japanischer Literatur stehen im Mittelpunkt einer Serie, die wir hier im Sommersemester 2020 veröffentlichen. In diesem ersten Beitrag geht es um die Manga-Serie “The Times of Botchan”, die aus der Feder des berühmten Zeichners Taniguchi Jirô (1947–2017) stammt und 1998 den Tezuka-Osamu-Kulturpreis gewonnen hat. Lisa Weinert und Hasan Acur widmen sich diesem Werk, in dem eine emanzipierte Version von Mori Ôgais Maihime („Die Tänzerin“, 1890) auftritt.

In diesem Artikel stellen wir die Manga-Serie “The Times of Botchan” (Botchan no Jidai) vor, die von 1987 bis 1996 von dem Autor Sekikawa Natsuo und dem Manga-Zeichner Taniguchi Jirô in der Zeitschrift „Manga Action“ veröffentlich wurde. Das Werk wurde später ins Englische, Italienische, Spanische und Französische übersetzt. Die englische Version ist im Verlag Ponent Mon erschienen. Der Manga erzählt von dem japanischen Autor Natsume Sōseki, der in der Meiji-Zeit sein Werk Botchan (1906) geschrieben hat, und enthält auch eine Episode über Mori Ôgais Erzählung Maihime unter dem Titel Aki no maihime („Autumn’s ballerina“, erschienen 1989). Die Meiji-Zeit in Japan war eine Zeit der großen Veränderungen. Nach der Öffnung des Landes wollte man modern werden und zu den westlichen Ländern aufschließen. Zugleich stellte sich die Frage, wie man japanischen Traditionen treu bleiben kann. In der Manga-Serie geht es um diese zentralen Konflikte der Meiji-Zeit, und es werden viele kleinere Geschichten erzählt, die insgesamt ein breites Panorama auf diese Zeit bieten. Dazu gehört auch die Erzählung rund um Maihime, die in diesem Manga adaptiert wird.  Maihime emanzipiert sich: The Times of Botchan weiterlesen

The Rule of Rubin – von den Erfahrungen professioneller Übersetzer/innen

Onomatopoetika sind ein Problem beim Übersetzen; hier im Manga „In this corner of the world“, (c) Carlsen

Wie dominant ist die Stimme der Übersetzerin oder des Übersetzers in einer Übertragung von Literatur oder Manga? Lilja Heiderich hat sich dazu Gedanken gemacht und nachgelesen, wie erfahrene Übersetzer wie Jay Rubin oder Zack Davisson dazu stehen.

Liest man ein Werk in einer anderen Sprache, als die, in der es geschrieben wurde, gehen die meisten davon aus, dass sie immer noch die Worte des Autors oder der Autorin lesen. Oftmals vergisst man sogar, dass es sich gar nicht um den Originaltext handelt. Ob nun Roman, Comic oder auch Manga – eine Übersetzung bleibt doch eben genau das: Worte, die in eine andere Sprache transferiert wurden.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Es geht nicht nur um die Worte, die auf der Seite geschrieben stehen. Würde man diese direkt übernehmen und dem Lehrbuch nach übersetzen, würde vieles verloren gehen. Auch Emotionen, Witz und kultureller Hintergrund spielen eine wichtige Rolle und tragen zur Gesamterscheinung des Werkes bei. Innerhalb der romanischen Sprachen scheint es machbar, Wort und Witz dem Original getreu oder wenigstens ähnlich zu übernehmen. Schwieriger wird es jedoch, wenn man zwischen zwei Sprachen vermittelt, die in ihrer gesamten Struktur nur wenige Gemeinsamkeiten aufweisen wie vom Japanischen, welches in seinem Aufbau größtenteils einzigartig ist, ins Deutsche oder Englische.

Das bereitet nicht nur Japanolog/innen Probleme, die noch am Anfang stehen, auch professionelle Übersetzer/innen brauchen viele Jahre an Übung und Rat von Muttersprachler/innen, bis sie das Gefühl eines gesamten Werkes einfangen und übersetzen können, ohne dass etwas verloren geht. Um dies zu erreichen, ist es oftmals unvermeidbar, dass die übersetzende Person die Worte selbst in die Hand nimmt und aus Sprache und Kontext etwas Neues formt, was sich liest, als sei es in der übersetzten Sprache geschrieben worden – und das Lesegefühl des Originals dennoch beibehält.  The Rule of Rubin – von den Erfahrungen professioneller Übersetzer/innen weiterlesen

Japanische Literatur als Anime – Aoi Bungaku Series

Abb. 1: Die Parade des Königs in „Kumo no ito“; Abb. 2: Höllendarstellung

Klassiker der modernen japanischen Literatur, aufgefrischt für ein junges Publikum von bekannten Anime-Künstlern: Nadine Schmidt stellt die Serie Aoi Bungaku aus dem Jahr 2009 vor.

Für all diejenigen, die sich gerne mit japanischer Literatur befassen, jedoch kein Buch in die Hand nehmen möchten, hat das Studio Madhouse mit seiner Anime Serie Aoi Bungaku Series (青い文学シリーズ) eine Lösung parat. In Zusammenarbeit mit bekannten Mangaka wie Kubo Taito (Bleach) und Obata Takeshi (Death Note) wurden 12 Folgen produziert, die auf sechs berühmten Werken japanischer Autoren beruhen. Diese sind Ningen Shikkaku von Dazai Osamu (dt. „Gezeichnet“, 1-4), Sakura no Mori no Mankai no Shita von Sakaguchi Ango (dt. „Unter der vollen Blüte im Kirschbaumwald“, 5-6), Kokoro von Natsume Sôseki (7-8), Hashire Merosu von Dazai Osamu (dt. „Lauf Melos, lauf!“, 9-10), Kumo no Ito von Akutagawa Ryûnosuke (dt. „Der Faden der Spinne“, 11) sowie Jigokuhen, ebenfalls von Akutagawa (dt. „Qualen der Hölle“, 12).

Der Titel der Serie lässt sich mit „Blaue Literatur Serie“ übersetzen, wobei aoi ursprünglich die Farbe junger Reispflanzen (ein Farbton zwischen Blau und Grün) bezeichnete und in diesem Fall im Sinne von „frisch, aktuell“ bzw. „Evergreens“ verstanden werden kann. Dementsprechend lautet das Motto der Serie „Meisaku koso aoi“ – „Berühmte Werke bleiben aktuell“. Moderiert wird die Serie von Schauspieler Sakai Masato, der in der Einleitung der Serie erklärt, viele Leute hätten keinen Bezug mehr zu Klassikern des literarischen Kanons, weil sie diese für alte Kamellen hielten oder während ihrer Schulzeit gezwungen waren sie zu lesen. Allerdings könne man sich heute noch mit den Gefühlen und Problemen der Protagonisten identifizieren. Sie erinnerten uns an uns selbst und daran, dass Leben und Schmerz Hand in Hand gehen. Aus diesem Grund versucht die Serie, durch das Medium Anime frischen Wind in den altbekannten Stoff zu bringen, um ihn so den Zuschauern wieder schmackhaft zu machen. Zu diesem Zweck vermittelt Sakai außerdem vor jeder Folge Hintergrundwissen zur Biographie des Autors, zur Entstehung des Werkes sowie zur zeitgenössischen Rezeption. Die Adaptionen weichen dann doch häufig recht stark vom Original ab, allerdings bleiben die Geschichten in ihrer Essenz erhalten. Wie diese Umgestaltung aussehen kann, soll im Folgenden anhand der 11. Folge, Kumo no Ito („Der Faden der Spinne“), exemplarisch geschildert werden.  Japanische Literatur als Anime – Aoi Bungaku Series weiterlesen

火垂るの墓 Die letzten Glühwürmchen (1988) – Eine Geschichte über das Sterben

Eine Reflexion über den berühmten Anime von Takahata Isao – von Isabelle Kullat

Bild Kullat
Die berühmte Bonbondose aus dem Film und die deutsche Blue-Ray. Foto: Isabelle Kullat

Der Film mutet selbst schon wie ein Glühwürmchen an: versucht man ihn zu fangen, erlischt seine Kraft langsam in der Gefangenschaft und durch die Begrenzung der menschlichen Worte. Ein Versuch sollte trotzdem unternommen werden! Was macht diesen Film so besonders, dass er es auch beim wiederholten Ansehen schafft, zu berühren und zu deprimieren? Und warum sollte man sich überhaupt einen solch deprimierenden Film ansehen?

Takahatas Isaos berüchtigter Anime aus dem Studio Ghibli basiert auf der in Teilen autobiografischen Kurzgeschichte Hotaru no haka („Das Grab der Leuchtkäfer“, 1967) von Nosaka Akiyuki und erzählt den Zuschauern die Geschichte der Geschwister Seita und Setsuko, die im 2. Weltkrieg nicht nur ihr Zuhause und ihre Familie, sondern auch ihren Platz in der Gesellschaft Japans verlieren, um am Ende einsam zu sterben. Nosaka Akiyuki verarbeitete in ihr seine eigenen traumatischen Erlebnisse während des Krieges und den Tod seiner kleinen Schwester. Er selbst hat den Krieg überlebt, findet aber in der Rolle des Seitas in der Fiktion seinen eigenen Tod. Das Werk scheint eine Entschuldigung an seine Schwester zu sein, die unter seiner missglückten Obhut den Hungertod fand. 火垂るの墓 Die letzten Glühwürmchen (1988) – Eine Geschichte über das Sterben weiterlesen