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The Outrage: Rashômon im Western-Setting

Abb. 1 Filmplakat

Rashômon von Kurosawa Akira (1950) gehört nach Ansicht vieler Kritiker zu den „besten Filmen aller Zeiten“. Ungleich weniger bekannt ist ein in den 1960er Jahren erschienenes Remake dieses Meisterwerks, das die Geschichte in ein Western-Setting verlegt: The Outrage. Simon Richter stellt uns hier diesen Film vor, in dem immerhin Paul Newman die zentrale Rolle des Räubers spielt – der hier ein Mexikaner ist. 

Nachdem der Film „Die sieben Samurai“ (Shichinin no Samurai, 1954) im Jahr 1960 sein amerikanisches Remake im Stil eines Western-Filmes mit dem Titel „Die glorreichen Sieben“ bekam, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch weitere Filme von Kurosawa Akira dieser „Verwestlichung“ unterzogen wurden (zu Japan und dem Western-Genre siehe auch hier). Im Oktober 1964 kam der Film „The Outrage“, bei dem Martin Ritt Regie führte, in die amerikanischen Kinos. Im Jahr darauf gab es ihn auch in (West-)Deutschland zu sehen, allerdings unter dem Titel „Carrasco, der Schänder“. Das Drehbuch wurde von Michael Kannin geschrieben und basiert auf dem Skript, das Kurosawa Akira 1950 zusammen mit Hashimoto Shinobu für den Film „Rashōmon“ verfasst hat. Dieses wiederum war eine Adaption der Erzählung „Im Dickicht“, die Akutagawa Ryūnosuke 1922 veröffentlichte. In „Carrasco, der Schänder“ werden sowohl Kurosawa Akira als auch Akutagawa Ryūnosuke im Abspann mit entsprechendem Hinweis erwähnt. Damit gehen die Produzenten hier offener mit ihren Quellen um als dies zum Beispiel bei Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“ der Fall war, bei dem die offensichtliche Anlehnung an Kurosawas „Yōjimbō“ (und Dashiell Hammetts Romans „Rote Ernte“) von dem Regisseur bestritten wurde.

Die Story in beiden Filmen ist nahezu identisch und lässt sich kompakt wie folgt umschreiben: Ein Bandit stellt einem Ehepaar eine Falle, vergewaltigt die Frau nachdem er den Mann überrumpeln konnte, und danach kommt es zu einer Auseinandersetzung, die den Tod des Mannes zur Folge hat. Das Geschehene wird durch die verschiedenen Blickwinkel mehrerer Personen wiedergeben, die entweder an der Tat beteiligt waren, Zeugen des Ereignisses wurden oder in sonstiger Verbindung zu der Tat stehen. In Akutagawa Ryūnosukes literarischer Vorlage finden wir als Leser/innen nur diese Aussagen vor. Der Autor gibt uns keine weiteren Rahmeninformationen und somit müssen wir uns selbst ein Bild davon machen, was sich ereignet hat (und wer der/die Schuldige ist). Kurosawa Akira musste für seine Verfilmung einen Handlungsrahmen schaffen und lässt die Geschichte an einem historischen Tor spielen – dem titelgebenden Rashōmon. An diesem Tor suchen sich ein Priester, ein Holzfäller und ein einfacher Bürger wegen eines Unwetters einen trockenen Unterschlupf und kommen dabei ins Gespräch. In „The Outrage“ wird dieses Tor zu einer Bahnhofsstation, an der ein Priester, ein Goldgräber und ein Schlangenöl-Verkäufer bei starkem Regen ins Gespräch kommen.  The Outrage: Rashômon im Western-Setting weiterlesen

Tokushima: die udatsu-Straße und wie ein Film von Yamada Yôji ein altes Kino rettete

Von Sebastian Czepuck

Udatsu-Straße; Flickr, CC  Hideki Yoshida

In der japanischen Präfektur Tokushima (徳島県), die auf Shikoku (四国) liegt, gibt es diverse Ziele für Touristen. Zum Beispiel gibt es viele natürliche Sehenswürdigkeiten, wie die großen Naruto-Strudel oder das Iya-Tal, aber auch kulturelle, wie der awa-odori – der Name setzt sich aus dem obon-odori, einem Tanz, der zum Obon-Fest, einem Fest zur Ehrung der Ahnen im August und dem früheren Namen der Region Awa zusammen. Unter den Tourismuszielen befinden sich unter anderem auch Orte wie Wakimachi, ein Teil der heutigen Stadt Mima (美馬市), die durch mediale Inszenierungen wie Dramen und Werbespots bekannt wurden. Wakimachi (脇町) ist ein Ort in dem, von der Edo-Zeit (江戸時代) bis hin zur frühen Showa-Zeit (昭和時代) der Handel florierte.

In der Edo-Zeit fokussierte sich der Handel hauptsächlich auf die indigoblaue Farbe, wodurch die  Händler so wohlhabend waren, dass sie sich immer prunkvollere Häuser bauen konnten. Dies gipfelte darin, dass sich besonders wohlhabende Händler sogenannte udatsu (うだつ), kleine weiße Wandelemente, die ursprünglich dazu dienten vor dem Ausbreitung von Bränden zu schützen, auf ihre Häuser bauten. Sie dienten jedoch in erster Linie dem Ausdruck des eigenen Reichtums und weniger zum Schutz vor Bränden. In Wakimachi gibt es einen etwa 430 Meter langen Straßenzug mit ungefähr 50 traditionell japanischen Häusern, auf dem man diese udatsu sehen kann und die deswegen „udatsu-Straße“ (うだつの町並み) genannt wird. Gerade dieser Straßenzug wird von den Fernsehanstalten häufig in Dramen und Werbespots verwendet um eine sehr alte japanische Stadt darzustellen.

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Kôkotsu no hito: Der erste japanische „Demenzfilm“

kokotsuDemenz ist in den letzten Jahren ein im westlichen und japanischen Film häufig behandeltes Thema, wie u.a. „Honig im Kopf“ (2014), „Still Alice“ (2014) oder „Pecoross‘ Mother and her Days“ (2013) zeigen. In Japan war Demenz aber schon 1973 einmal ein großes Thema im Film, wie uns Natasha Urresta Alvarez in diesem Beitrag verdeutlicht.

Toyoda Shirō behandelte in seinem Film Kôkotsu no hito („Twilight Years“, 1973) als einer der ersten Regisseure das Thema Demenz im Alter. Er basiert auf den gleichnamigen Roman vom Ariyoshi Sawako, der 1972 in Japan zum Bestseller wurde. Im Laufe der Handlung werden viele Probleme, die das damalige japanische Wohlfahrtssystem hatte, geschildert sowie die Auswirkungen auf die betroffenen Familien, die sich um ein älteres Familienmitglied kümmern mussten.

Das alltägliche Leben einer japanischen Familie wird abrupt verändert, als Tachibana Akiko (Takamine Hideko) ihren Schwiegervater Shigezô (Hisaya Morishige) neben der Leiche seiner Frau in deren gemeinsamem Haus findet. Der plötzliche Tod seiner Frau wird als der Auslöser für die Demenz des älteren Mannes dargestellt, der in dieser Anfangssequenz schon nicht mehr er selbst zu sein scheint. Nach der Beerdigung erkennt Shigezô seine älteste Tochter nicht mehr, und auch die anderen Familienmitglieder, wie seinen Sohn und Enkelsohn, nimmt er nicht mehr wirklich wahr. Der Mann scheint sich nur noch an Akiko zu erinnern, denn er lässt sie als einzige wirklich in seine Nähe. Dies ist sicherlich ein zusätzlicher Grund, weswegen im weiteren Verlauf Akiko sich weitgehend alleine um ihren demenzkranken Schwiegervater kümmern muss. In der damaligen japanischen Gesellschaft wurde aber auch generell erwartet, dass die Schwiegertochter sich um ihre Schwiegereltern kümmert, wenn diese ein gewisses Alter erreicht haben.  Kôkotsu no hito: Der erste japanische „Demenzfilm“ weiterlesen

Demenz im Film: Ein Date mit Pecoross‘ Mutter

Pecoross

Ein Film über Demenz wird zum Publikumsliebling – So geschehen mit „Pecoross‘ Mother and her Days“, einem komisch-melancholischem Film, den uns hier Lara Welmans vorstellt.

Die Pflege dementer Personen ist oft eine große Herausforderung für Familienangehörige und auch Pfleger. Genau dieses Problem thematisiert der Regisseur Morisaki Azuma in seinem Film Pekorosu no haha ni ai ni iku (englischer Titel „Pecoross‘ mother and her days“), in dem er den Zuschauer auf eine Reise mit Okano Yūichi schickt, auf der er seine demente Mutter erneut kennenlernt.

Der Film basiert auf einem gleichnamigen autobiographischen Essay-Manga von Okano Yūichi, in dem er seine eigenen Erfahrungen mit seiner dementen Mutter schildert. Dieser ist 2012 erstmals in einer Zeitung in Westjapan erschienen und wurde 2013 zu einem Bestseller.  Auch die Verfilmung war sehr erfolgreich: 2014 gewann sie den Kinema Junpô Award für den besten Film. Darüber hinaus wurde er zum drittbesten Film beim Yokohama Filmfestival auserkoren und gewann bei dem Takasaki Filmfestival Preise für den besten Film,  die beste Schauspielerin (Akagi Harue) und die beste weibliche Nebenrolle (Harada Kiwako). Demenz im Film: Ein Date mit Pecoross‘ Mutter weiterlesen

Mādadayo – Kurosawas persönlichstes Werk

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Uchida feiert mit seinen Schülern seinen Geburtstag (Bild: trigon-film)

Ein alter Lehrer mit kindlichem Gemüt – Jörn Krantz stellt uns Kurosawa Akiras letzten Film Mādadayo vor, ein liebevolles Portrait des Schriftstellers Uchida Hyakken. 

Zwei Jahre vor Kurosawas Tod 1993 vollendet, weist Mādadayo vielleicht nicht die Bildgewalt oder erzählerische Intensität auf, welche beispielsweise in seinen früheren Epen Ran und Kagemusha zu finden sind und erscheint im direkten Vergleich zu diesen eher als “leichte Kost”. Der Film schafft es jedoch, den geneigten Betrachter durch seine Ehrlichkeit und Sentimentalität in den Bann zu ziehen. Als sein letztes und im Nachhinein abschließendes Werk kann dieser Film als eine Art Selbstportrait Kurosawas verstanden werden und zugleich als ein Appell, sich bis ins hohe Alter einen kindlichen Geist zu bewahren.

Mādadayo erzählt auf liebevolle und leichtherzige Art und Weise die Geschichte von Uchida Hyakken (gespielt von Matsumura Tatsuo) ab dem Zeitpunkt, als dieser mit Anfang 60 zu Zeiten des zweiten Weltkriegs seine Arbeit als Deutschlehrer an einer Tokyoter Militärakademie niederlegt, um sich mehr dem Schreiben widmen zu können. Hierbei handelt es sich nicht um eine fiktive Figur, sondern der Protagonist ist an den Deutschlehrer Uchida Hyakken (1889–1971) angelehnt, der in erster Linie durch seine literarischen Werke eine bekannte Persönlichkeit Japans geworden ist.  Mādadayo – Kurosawas persönlichstes Werk weiterlesen

Ashita no Kioku – Memories of Tomorrow

 Kristine Weingart rezensiert für uns Ashita no Kioku. Ein Film, der sich mit dem Thema Krankheit im Alter auseinandersetzt und aus der Sicht des Patienten den Krankheitsverlauf zeigt. Viel Spaß beim Lesen!

Memories of tomorrowEs beginnt mit einem entfallenen Wort, einem vergessenen Namen, und schließlich vollkommener Orientierungslosigkeit. Dann folgt die erschütternde Diagnose: Alzheimer im Frühstadium. Ashita no Kioku zeigt das Fortschreiten dieser Krankheit, jedoch nicht aus der Sicht der Angehörigen, sondern aus der des Betroffenen, der sich mit seinem unabwendbaren Schicksal arrangieren muss, während sein Leben sich um 180 Grad dreht. Sein einziger Halt: Eine liebevolle Familie.

Memories of Tomorrow ist der englische Titel dieses japanischen Dramas, das am 13. Mai 2006 unter dem Originaltitel Ashita no Kioku (明日の記憶) in den japanischen Kinos erschien. Die Regie des 122-minütigen Films, der auf dem gleichnamigen, im Jahre 2004 von Hiroshi Ogiwara  veröffentlichten Roman basiert, führte Yukihiko Tsutsumi.

Der 49-jährige Masayuki Saeki, gespielt von Ken Watanabe, verkörpert den idealtypischen japanischen Arbeiter: Er ist die Führungskraft einer wichtigen Werbeagentur in Tokyo und arbeitet diszipliniert und zielstrebig, weshalb ihm seine Arbeitskollegen auch mit Respekt und Achtung entgegentreten. Seine Familie stellt er stets hinter seinen Beruf, um die hohen Standards zu erfüllen, die er sich stellt. Doch plötzlich kann er mit diesen nicht mehr mithalten. Masayuki vergisst plötzlich Dinge, wie die Namen von Geschäftspartnern, wichtige Termine oder gar den Weg zu seiner Arbeit. Ashita no Kioku – Memories of Tomorrow weiterlesen

Blockkurs zum Ende des Semesters

FamilieLiebe Studenten, im HIS-LSF steht seit letzter Woche ein Blockkurs, für den ich hier eigennützig Werbung machen will.

Das Seminar trägt den Titel „Katei, Kazoku, Setai – Familie im japanischen Film“. Inhaltlich werden wir uns, wie der Titel schon verrät, mit Familiendarstellung im (zeitgenössischen) japanischen Film beschäftigen.

Zu Beginn wird es eine Einführungsveranstaltung geben (29.07.2016), zu der ein Ersatztermin am 01.08.2016 angeboten wird. D.h. Interessierte brauchen nur einen der beiden Termine warzunehmen.

Der eigentliche Kurs findet an drei aufeinanderfolgenden Tagen, vom 04. bis zum 06.08.2016, statt.

Es werden moderne japanische Filme geschaut, die im Anschluss diskutiert werden.

Das Seminar richtet sich an alle Studierenden, die ein Interesse an japanischer Kultur, Familie und Filmen haben.

Da die Filme auf Japanisch mit englischen Untertiteln gezeigt werden, sollten gute Englischkenntnisse und/oder Japanischkenntnisse vorhanden sein.

Ich würde mich freuen Sie trotz der kurzfristigen Ankündigung zahlreich begrüßen dürfen zu können.

Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung, am besten per Email.

Zwischen Mensch und Maschine: Robo-jî

RoboConstanze Thede hat sich den Film „Robo-G“ angesehen und für den Blog eine Kritik dazu verfasst. Viel Spaß beim Lesen.

Kann ein Roboter den Menschen ersetzen? Kann er mehr sein als nur ein seelenloser Haufen Metall? In seinem Film Robo-jî ロボジー („Robo-G“, 2012) nähert sich Regisseur Shinobu Yaguchi dieser Fragestellung aus einem ganz unerwarteten Blickwinkel heraus.

Innerhalb von drei Monaten sollen Hiroki Kobayashi (Gaku Hamada), Shinya Nagai (Junya Kawashima) und Kôji Ôta (Shôgo Kawai) im Auftrag ihres Chefs (Takehiko Ono) für die Firma Kimura Denki einen Roboter bauen, der auf einer großen Robotermesse seinen Auftritt haben soll. Das Problem: Die drei Ingenieure kommen eigentlich aus ganz anderen Abteilungen und haben keine Ahnung von der Materie. Als ihr mühsam zusammengebastelter Roboter eine Woche vor Messebeginn in seine Einzelteile zerfällt, stecken sie in der Klemme.

Nun muss eine schnelle Lösung her: Ein Mensch soll in die Haut des Roboters schlüpfen und auf der Messe den perfekten Auftritt vortäuschen. Als geeigneter Kandidat findet sich der Rentner Herr Suzuki (Mickey Curtis), der zunächst glaubt, für ein Kostümfest engagiert worden zu sein.

Das Publikum ist von dem so menschenähnlichen Roboter New Shiokaze ニュー潮風 („Neue Meeresbrise“) begeistert und die Anfragen nach weiteren Auftritten prasseln nur so auf das Ingenieurteam herein. Doch was geschieht, wenn der Schwindel auffliegt?   Zwischen Mensch und Maschine: Robo-jî weiterlesen

Memories of Matsuko – 嫌われ松子の一生

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Werbung für den Film auf einer DVD-Verleihmaschine. Wikimedia cc, iMorpheus

Rebecca Glasmacher hat sich die Mühe gemacht, den Film „Memories of Matsuko“ (jp. 嫌われ松子の一生) anzuschauen und eine Filmkritik zu verfassen.

Memories of Matsuko (OT: 嫌われ松子の一生 (2006)); Regie von Tetsuya Nakashima, erzählt die Geschichte des rebellischen Jungen Sho (Eita Nagayama), sowie der  Entdeckung der Lebensgeschichte seiner von der Familie verstoßenen Tante Matsuko (Miki Nakatani), die ebenfalls ein Leben außerhalb der Norm geführt hatte und zu beginn des Filmes ermordet aufgefunden wird.

Der Film springt durch zwei parallele Storylines, die des Jungen, der herausfinden will warum seine Tante sterben musste und die Lebensgeschichte Matsukos, welche im Laufe des Films immer mehr über ihre Identität preisgibt. Beide Charaktere werden von ihrer Familie verfemt, Matsuko wurde verstoßen und auch Shos Vater (Matsukos Bruder) missbilligt den Lebensstil seines Sohnes. Beide verbindet viel, denn Sho findet durch das immer weitere „kennenlernen“ seiner Tante heraus, dass er nicht der Einzige ist, der von der Norm abweicht.  Memories of Matsuko – 嫌われ松子の一生 weiterlesen

Tōkyō Kazoku: Eine Hommage an Ozu

Das Remake eines zeitlosen Klassikers:  60 Jahre nach Ozus Meisterwerk Tōkyō Monogatari traute sich Yamada Yōji an eine Neuverfilmung. Lingdi Qu sah sich für uns den Film Tōkyō Kazoku genauer an.
(Die Rezension zu Tōkyō Monogatari von Jason Blaslov findet man hier)

DVD-Cover (www.trigon-film.org)
DVD-Cover (trigon-film)

„Alter(n)“, wie es im Filmclub diskutiert wird, ist bereits seit vielen Jahren ein soziales Thema, das vielfältig in den Medien und der Politik Japans diskutiert wird. Ich habe Yamada Yōjis Film „Tōkyō Kazoku“ (東京家族, 2013), ein Remake von Ozus „Tōkyō Monogatari“ aus dem Jahr 1953, ausgewählt, da er meiner Ansicht nach einige wichtige Themen in Hinblick auf die aktuelle Situation zum „Alter(n) “ in Japan aufgreift. Dies sind neben der Altenpflege vor allem die Beziehungen zwischen Eltern, Kindern und Enkelkindern, die ich im Folgenden diskutieren möchte.

Der Film handelt von dem älteren Ehepaar Hirayama Shukichi und seiner Frau Tomiko, beide 68 Jahre alt, die von Osaki Island in der Präfektur Hiroshima losfahren, um ihre drei Kinder in Tôkyô zu besuchen. Ihr ältester Sohn Koichi ist Leiter einer Klinik, die Tochter Shigeko Inhaberin eines Beauty Salons und der jüngste Sohn Shoji (gespielt von Tsumabuki Satoshi) arbeitet als Bühnenbauer. Allerdings sind die Familienmitglieder so sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, dass Shukichi und Tomiko sich vernachlässigt und fehl am Platz fühlen und kurzerhand in ein Hotel umziehen. Nachdem er die Witwe eines alten Freundes besucht hat, möchte Shukichi schließlich zurück nach Hause. Er erzählt Tomiko, dass er den letzten Abend in Tôkyô mit seinem alten Freund Sanpei verbringen wird, während sie bei Shoji unterkommt. Shukichi und Sanpei betrinken sich den Abend über in einer Bar. Bei Shoji angekommen lernt Tomiko währenddessen seine Freundin Mamiya Noriko kennen und erfährt später von Shoji, dass er Noriko heiraten möchte. Tōkyō Kazoku: Eine Hommage an Ozu weiterlesen

Tokyo Monogatari: Wohin mit den alten Eltern?

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Noriko und Shûkichi (Shôchiku 1953, via Wikimedia Commons)

Die eigenen Kinder, die man großgezogen hat – wie stehen sie zu einem im hohen Alter? Jason Blaslov stellt Ozu Yasujirôs Klassiker Tokyo Monogatari vor und sieht in ihm auch 60 Jahre nach seinem Erscheinen noch eine hohe Aktualität.

Der japanische Klassiker Tokyo Monogatari 東京物語 von Ozu Yasujirô, im Deutschen „Die Reise nach Tokyo“, behandelt das gesellschaftliche Problem der fehlenden Zuneigung und des mangelnden Respekts gegenüber den Eltern im hohen Alter. Im Erscheinungsjahr des Films, 1953, war es übliche Tradition, sich bis zum Tode um die Eltern zu kümmern. Die Tochter bzw. Schwiegertochter übernahm in der Regel diese Pflicht. Obwohl dieses System heute weitgehend überholt ist und sich Pflegeeinrichtungen gebildet haben, ist der Gedanke dieser Tradition teilweise noch in den Köpfen der Menschen in Japan erhalten, und ist in der Diskussion darüber, wie mit alten Menschen umgegangen werden sollte, immer noch präsent. Tokyo Monogatari: Wohin mit den alten Eltern? weiterlesen

Narayama bushikô: Zwischen Überleben und Opferbereitschaft

DVD von trigon-film
DVD von trigon-film

Bayram Yildirim hat sich für uns den Film Narayama bushikô (楢山節考, 1983) angesehen, einen Klassiker von Shôhei Imamura, in dem es um das Phänomen ubasute 姥捨て geht, das Aussetzen alter Menschen auf einem Berg oder irgendwo in der Einöde.

Wenn die Natur dem Menschen alles abverlangt sind es vor allem die Alten, die auf die Gunst ihrer Mitmenschen angewiesen sind. Doch wer sollte weiterleben, wenn es einfach nicht für alle reicht? Wo ist in so einer Gesellschaft Platz für Humanität und Mitgefühl und wie arrangiert sich der Schwache mit seinem Schicksal zum Wohl aller?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des 1983 von Imamura Shôhei gedrehten Films Narayama bushikô, in dem die 69-Jährige Orin kurz davor steht, ihren letzten Weg anzutreten. Unter diesem Titel wurde 1958 die Geschichte schon einmal von Kinoshita Keisuke verfilmt; beide Versionen beruhen auf der gleichnamigen Erzählung (auf Deutsch: „Schwierigkeiten beim Verständnis der Narayama-Lieder“, 1957) von Fukazawa Shichirō (1914–1987).  Narayama bushikô: Zwischen Überleben und Opferbereitschaft weiterlesen

Die Reise in ein neues Leben – Eine Rezension zum Film „Anata e“

anataeEin Road Movie mit älteren Menschen – Maya Matsubara stellt hier den Film „Anata e“ vor, der 2012 in Japan erschienen ist und sehr erfolgreich war

Wie geht das Leben weiter nach einem Schicksalsschlag? Blickt man in seine Vergangenheit zurück und trauert den schönen glücklichen Tagen hinterher? Oder wagt man den ersten Schritt in einen neuen Lebensabschnitt und lässt die Vergangenheit hinter sich?

In dem Road Movie „Anata e“ (Furuhata Yasuo, 2012) spielt Takakura Ken den Witwer Kurashima Eiji, der sich mit seinem selbstgebauten Wohnwagen auf die Reise nach Usuka, die Heimatstadt seiner verstorbenen Ehefrau Yōko, begibt, um ihren letzten Willen zu erfüllen. In der kleinen Hafenstadt Usuka soll Kurashima die Asche von Yōko im Meer verstreuen und an der dortigen Poststelle einen Brief entgegen nehmen, den sie noch zu Lebzeiten an ihn geschrieben hat. Auf dem Weg trifft er auf verschiedene Menschen, die auch Schicksalsschläge zu verarbeiten haben. Im Laufe der Reise entpuppen sich diese Begegnungen als schicksalhafte Fügungen. In Form von Rückblenden werden Kurashimas Erinnerungen an gemeinsame Zeiten mit Yōko immer wieder zwischen den Reisesequenzen eingefügt. Der Film verzeichnete nationale und internationale Erfolge, unter anderem 12 Auszeichnungen bei den 36. Japanese Academy Awards im Jahr 2013.

Die Reise in ein neues Leben – Eine Rezension zum Film „Anata e“ weiterlesen

生きる Ikiru – Einmal wirklich leben (1952)

Der Kampf zwischen dem Leben und der Sinnlosigkeit in Kurosawa Akiras Filmklassiker – eine Rezension von Manuel Rodriguez

Die Momente, in denen wir unserer eigenen Sterblichkeit bewusst werden, führen oftmals dazu, dass wir unser bisheriges Leben hinterfragen. Leben wir sinnvoll? Gibt es überhaupt einen Sinn in unseren vergänglichen Leben? Und vor allem wie wollen wir die Lebenszeit verbringen, die uns noch bleibt?

Quelle: www.trigon-film.org.
Quelle: trigon-film

Vor genau diese Fragen muss sich auch Herr Watanabe in dem japanischen Film Ikiru aus dem Jahre 1952 stellen, nachdem er erfährt, dass er aufgrund eines Magenkrebses nur noch etwa ein halbes Jahr zu leben hat. Als Abteilungsleiter der Beschwerdestelle für öffentliche Angelegenheiten hatte Herr Watanabe die letzten 20 Jahre seines Lebens sich immer zu mit der selben Arbeit am selben Arbeitsplatz beschäftigt. Aus Angst, seine Stellung zu verlieren, fokussierte er sich voll und ganz auf die Arbeit und vernachlässigte alle weiteren Lebensbereiche. Der Erzähler des Films kommentiert aus dem Off das bisherige Leben von Herrn Watanabe wie folgt: „Eigentlich ist er schon längst gestorben.“ Zu dem selben Ergebnis gelangt auch Herr Watanabe schon bald. Auf die Urkunde, die ihn dafür ehrt, dass er in den letzten 20 Jahren nicht einmal auf der Arbeit fehlte, ist er nicht mehr stolz. Stattdessen ist er nun der Ansicht, dass seine Arbeit ihm sein Leben raubte.

生きる Ikiru – Einmal wirklich leben (1952) weiterlesen

Ein Familientreffen mal anders

StillWalking-Plakat
Quelle: Kool Filmdistribution

Man kennt das Konzept aus einigen amerikanischen Komödien: Die ganze Familie trifft sich zu einem besonderen Anlass, wahlweise an Weihnachten, Thanksgiving, einer Hochzeit oder einem anderen Feiertag, und alles geht schief, was nur schief gehen kann.

Wer diese Art von Humor und Unterhaltung von dem japanischem Familiendrama Still Walking erwartet, wird nicht fündig werden, denn obwohl es auch hier um ein Familientreffen geht, so erzählt dieser Film die Geschichte doch ganz anders. Ein Familientreffen mal anders weiterlesen