Nach „Im Dickicht“ präsentieren wir nun den zweiten Teil unserer Reihe „Akutagawa zum Anhören“. Ein Modernes-Japan-Student hat für uns die Geschichte Rashômon (1915) als Podcast aufgenommen.
Rashômon erzählt eine düstere Geschichte, deren Handlung im Kyôto der Heian-Zeit angesiedelt ist. Ein Diener, der seine Anstellung verloren hat und dadurch völlig mittellos geworden ist, gerät in eine Situation, in der er sich entscheiden muss: Werde ich ein Verbrecher, oder riskiere ich, irgendwann an Hunger und Kälte zu sterben? Akutagawas Erzählung basiert auf einer Geschichte der mittelalterlichen Sammlung Konjaku Monogatarishû. Der Autor verleiht dieser eigentlich simplen, grotesken Anekdote eine schaurige Atmosphäre und eine tiefe psychologische Dimension.
„Rashômon“ liegt in einer deutschen Übersetzung von Jürgen Berndt vor, die in dem gleichnamigen Band „Rashômon“ im Verlag Sammlung Luchterhand erschienen ist (2001). Hier auf Popyura gibt es auch eine Rezension zu einer Manga-Adaption dieser Erzählung.
Rashômon von Kurosawa Akira (1950) gehört nach Ansicht vieler Kritiker zu den „besten Filmen aller Zeiten“. Ungleich weniger bekannt ist ein in den 1960er Jahren erschienenes Remake dieses Meisterwerks, das die Geschichte in ein Western-Setting verlegt: The Outrage. Simon Richter stellt uns hier diesen Film vor, in dem immerhin Paul Newman die zentrale Rolle des Räubers spielt – der hier ein Mexikaner ist.
Nachdem der Film „Die sieben Samurai“ (Shichinin no Samurai, 1954) im Jahr 1960 sein amerikanisches Remake im Stil eines Western-Filmes mit dem Titel „Die glorreichen Sieben“ bekam, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch weitere Filme von Kurosawa Akira dieser „Verwestlichung“ unterzogen wurden (zu Japan und dem Western-Genre siehe auch hier). Im Oktober 1964 kam der Film „The Outrage“, bei dem Martin Ritt Regie führte, in die amerikanischen Kinos. Im Jahr darauf gab es ihn auch in (West-)Deutschland zu sehen, allerdings unter dem Titel „Carrasco, der Schänder“. Das Drehbuch wurde von Michael Kannin geschrieben und basiert auf dem Skript, das Kurosawa Akira 1950 zusammen mit Hashimoto Shinobu für den Film „Rashōmon“ verfasst hat. Dieses wiederum war eine Adaption der Erzählung „Im Dickicht“, die Akutagawa Ryūnosuke 1922 veröffentlichte. In „Carrasco, der Schänder“ werden sowohl Kurosawa Akira als auch Akutagawa Ryūnosuke im Abspann mit entsprechendem Hinweis erwähnt. Damit gehen die Produzenten hier offener mit ihren Quellen um als dies zum Beispiel bei Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“ der Fall war, bei dem die offensichtliche Anlehnung an Kurosawas „Yōjimbō“ (und Dashiell Hammetts Romans „Rote Ernte“) von dem Regisseur bestritten wurde.
Die Story in beiden Filmen ist nahezu identisch und lässt sich kompakt wie folgt umschreiben: Ein Bandit stellt einem Ehepaar eine Falle, vergewaltigt die Frau nachdem er den Mann überrumpeln konnte, und danach kommt es zu einer Auseinandersetzung, die den Tod des Mannes zur Folge hat. Das Geschehene wird durch die verschiedenen Blickwinkel mehrerer Personen wiedergeben, die entweder an der Tat beteiligt waren, Zeugen des Ereignisses wurden oder in sonstiger Verbindung zu der Tat stehen. In Akutagawa Ryūnosukes literarischer Vorlage finden wir als Leser/innen nur diese Aussagen vor. Der Autor gibt uns keine weiteren Rahmeninformationen und somit müssen wir uns selbst ein Bild davon machen, was sich ereignet hat (und wer der/die Schuldige ist). Kurosawa Akira musste für seine Verfilmung einen Handlungsrahmen schaffen und lässt die Geschichte an einem historischen Tor spielen – dem titelgebenden Rashōmon. An diesem Tor suchen sich ein Priester, ein Holzfäller und ein einfacher Bürger wegen eines Unwetters einen trockenen Unterschlupf und kommen dabei ins Gespräch. In „The Outrage“ wird dieses Tor zu einer Bahnhofsstation, an der ein Priester, ein Goldgräber und ein Schlangenöl-Verkäufer bei starkem Regen ins Gespräch kommen. The Outrage: Rashômon im Western-Setting weiterlesen →
Im Franchise „Bungô Stray Dogs“ treten die bekanntesten Autoren der modernen japanischen Literatur auf, bekämpfen sich gegenseitig und sehen dabei auch noch verdammt gut aus. Ein deutsches Pendant könnte man sich ungefähr so vorstellen: Thomas Mann, mit schulterlangen Haaren, und ausgestattet mit der besonderen Superhelden-Fähigkeit „Zauberberg“. Das klingt erst einmal schräg, hat sich aber zu einer sehr erfolgreichen Manga- und Anime-Serie entwickelt. Jonas Drechsel und Philipp Eckershoff stellen uns das Franchise vor und erläutern, wie genau die Bezüge zur Welt der Literatur funktionieren.
Hier auf dem Blog wurden bereits mehrere Autor/innen, deren Werke (und Adaptionen davon) vorgestellt, die der Meiji-Zeit und somit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis hin zum frühen 20. Jahrhundert entsprungen sind. Autoren wie Mori Ôgai, Dazai Osamu und Akutagawa Ryûnosuke gehören unbestritten zu den literarischen Größen dieser Zeit und ihre Werke sind echte Klassiker – doch welche Relevanz haben sie für die heutige Popkultur? Natürlich finden wir diverse Adaptionen der Originalwerke im Bereich Film und Manga, doch spielen die Autoren auch darüber hinaus eine Rolle für die Jugendkultur des gegenwärtigen Japan? Ein Beispiel dafür liefert uns der Manga „Bungô Stray Dogs“ (jap. 文豪ストレイドッグス, Bungô sutorei doggusu), ein seinen-Manga, der seit 2012 produziert wird und aus der Feder von Asagiri Kafka (Story) und Harukawa Sango (Zeichnungen) stammt. Nicht nur die Hauptfiguren dieses Manga, sondern auch andere Elemente wurden durch verschiedenste Autoren der modernen japanische Literatur und deren Werke inspiriert. Wie sich das äußert, stellen wir im Folgenden anhand einiger Beispiele genauer dar.
Bevor wir auf den Inhalt des Mangas selbst eingehen, müssen wir jedoch zuerst Bezug auf den Autor hinter „Bungô Stray Dogs“ nehmen. Denn auch dieser hat einen berühmten Autor des frühen 20. Jahrhunderts als Inspiration herangezogen, Franz Kafka, bekannt für sein Werk „Die Verwandlung“, zu dem wir hier auf dem Blog auch einige Artikel haben. Da davon auszugehen ist, dass sowohl der Künstlername des Autors als auch die Verwandlung des Protagonisten in „Bungô Stray Dogs“ (auf den wir gleich noch eingehen) Anlehnungen an das bekannte Werk des deutschsprachigen Schriftstellers sind, wird von vornherein eine gewisse Verbundenheit zur Literatur deutlich. Aber nicht nur Franz Kafka diente an dieser Stelle als Inspiration; tatsächlich sind die meisten wichtigen Figuren in Asagiris Manga benannt nach prominenten Vertretern japanischer, und später auch russischer und amerikanischer Literatur. So stößt man im Manga selbst auf Dazai Osamu, Akutagawa Ryûnosuke, F. Scott Fitzgerald, Mark Twain und Nakajima Atsushi, welcher als Hauptfigur und somit Dreh- und Angelpunkt der Geschichte auftritt. Angesiedelt ist die Geschichte des Manga in einer fiktiven Version von Yokohama, angelehnt an die reale Großstadt direkt neben Tokyo, was vor allem durch die Abbildung prominenter Sehenswürdigkeiten zur Geltung kommt. Das beliebte Riesenrad „Cosmos Clock 21“, das man in der Hafengegend Yokohamas nur schwer übersehen kann, ist etwa Teil einiger Werbeposter und auch im Anime zu sehen. In einem ruhigen Teil genau dieser Stadt wird der junge Streuner Atsushi durch den erfahrenen Detektiv Dazai Osamu für die Armed Detective Agency rekrutiert, ein Zusammenschluss verschiedener Individuen, die sich den Schutz Yokohamas vor den dunklen Machenschaften der sogenannten Port Mafia zur Aufgabe gemacht haben. Der Clou des Ganzen? Alle Figuren besitzen spezielle Fähigkeiten, am ehesten zu vergleichen mit Superkräften, die nicht nur nach bestimmten Buchtiteln jener Autoren benannt sind, sondern meistens grob Inhalte oder Kernaussagen dieser Werke widerspiegeln.
Abb. 2 Tigergestalt Nakajimas
Wie bereits kurz erwähnt zeigen sich bei dem Protagonisten der Serie, Nakajima Atsushi, Hinweise auf das Werk Kafkas, was auch auf den Fakt zurückzuführen ist, dass „der echte“ Nakajima Atsushi (1909–1942) von Franz Kafka beeinflusst war. So handelt Nakajimas Erzählung Sangetsuki (山月記, „The Moon over the Mountain“, 1942) von einem Poeten im Tang-zeitlichen China, der sich in einen Tiger verwandelt, was als Parallele zur Erzählung „Die Verwandlung“ gesehen werden kann. In dem Manga kommt diese Transformation in Atsushis Fähigkeit, „Beast Beneath the Moonlight“ (jap. 月下獣 gekkajû), zum Ausdruck. Diese erlaubt es ihm, sich in einen „Wertiger“ (das Tiger-Pendant zum Werwolf) zu verwandeln und so seine körperliche Stärke um ein Vielfaches zu multiplizieren. Die Tigergestalt wird im Manga sehr dynamisch und teilweise abstrakt dargestellt (vgl. Abb. ). Literarische Klassiker in neuem Gewand: Bungô Stray Dogs weiterlesen →
Lust, einen Klassiker der modernen japanischen Literatur ganz gemütlich anzuhören? Wir bieten in zwei Teilen Werke von Akutagawa Ryûnosuke als Podcast. Hier: „Im Dickicht“.
Akutagawa Ryûnosukes Erzählung Yabu no naka („Im Dickicht“, 1922) ist eine Adaption einer Geschichte aus der mittelalterlichen Sammlung Konjaku Monogatarishû. Der Autor verleiht dieser Geschichte eine ganz neue Note, indem er das Geschehen (ein Verbrechen) aus den Perspektiven verschiedener beteiligter Personen schildern lässt. Die Zeugen widersprechen sich – und Akutagawa überlässt seinem Publikum die Entscheidung darüber, was hier nun die Wahrheit sein könnte, oder ob es so etwas wie eine objektive Wahrheit überhaupt geben kann.
„Im Dickicht“ liegt in einer deutschen Übersetzung von Jürgen Berndt vor, die in dem Band „Rashômon“ im Verlag Sammlung Luchterhand erschienen ist (2001).
Wir präsentieren diese Erzählung, die zur Vorlage für Kurosawa Akiras bekannten Film Rashômon (1950) wurde, hier im Hörbuch-Format. Wir wünschen viel Spaß beim Anhören!
Podcast-Produktion:
Noah Brelage, Hannah Greiner
Rollen:
Ansager – Hendrik Heider
Vom Untersuchungsrichter befragter Holzfäller – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragter Priester – Jana Hermanski
Vom Untersuchungsrichter befragter Freigelassener – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragte alte Frau – Jana Hermanski
Tajomaru – Noah Brelage
Bekenntnis einer zum Tempel Shimizu gekommenen Frau – Jana Hermanski
Der Tote, sich des Mundes einer Totenbeschwörerin bedienend – Noah Brelage
Abb. 1: Die Parade des Königs in „Kumo no ito“; Abb. 2: Höllendarstellung
Klassiker der modernen japanischen Literatur, aufgefrischt für ein junges Publikum von bekannten Anime-Künstlern: Nadine Schmidt stellt die Serie Aoi Bungaku aus dem Jahr 2009 vor.
Für all diejenigen, die sich gerne mit japanischer Literatur befassen, jedoch kein Buch in die Hand nehmen möchten, hat das Studio Madhouse mit seiner Anime Serie Aoi Bungaku Series (青い文学シリーズ) eine Lösung parat. In Zusammenarbeit mit bekannten Mangaka wie Kubo Taito (Bleach) und Obata Takeshi (Death Note) wurden 12 Folgen produziert, die auf sechs berühmten Werken japanischer Autoren beruhen. Diese sind Ningen Shikkaku von Dazai Osamu (dt. „Gezeichnet“, 1-4), Sakura no Mori no Mankai no Shita von Sakaguchi Ango (dt. „Unter der vollen Blüte im Kirschbaumwald“, 5-6), Kokoro von Natsume Sôseki (7-8), Hashire Merosu von Dazai Osamu (dt. „Lauf Melos, lauf!“, 9-10), Kumo no Ito von Akutagawa Ryûnosuke (dt. „Der Faden der Spinne“, 11) sowie Jigokuhen, ebenfalls von Akutagawa (dt. „Qualen der Hölle“, 12).
Der Titel der Serie lässt sich mit „Blaue Literatur Serie“ übersetzen, wobei aoi ursprünglich die Farbe junger Reispflanzen (ein Farbton zwischen Blau und Grün) bezeichnete und in diesem Fall im Sinne von „frisch, aktuell“ bzw. „Evergreens“ verstanden werden kann. Dementsprechend lautet das Motto der Serie „Meisaku koso aoi“ – „Berühmte Werke bleiben aktuell“. Moderiert wird die Serie von Schauspieler Sakai Masato, der in der Einleitung der Serie erklärt, viele Leute hätten keinen Bezug mehr zu Klassikern des literarischen Kanons, weil sie diese für alte Kamellen hielten oder während ihrer Schulzeit gezwungen waren sie zu lesen. Allerdings könne man sich heute noch mit den Gefühlen und Problemen der Protagonisten identifizieren. Sie erinnerten uns an uns selbst und daran, dass Leben und Schmerz Hand in Hand gehen. Aus diesem Grund versucht die Serie, durch das Medium Anime frischen Wind in den altbekannten Stoff zu bringen, um ihn so den Zuschauern wieder schmackhaft zu machen. Zu diesem Zweck vermittelt Sakai außerdem vor jeder Folge Hintergrundwissen zur Biographie des Autors, zur Entstehung des Werkes sowie zur zeitgenössischen Rezeption. Die Adaptionen weichen dann doch häufig recht stark vom Original ab, allerdings bleiben die Geschichten in ihrer Essenz erhalten. Wie diese Umgestaltung aussehen kann, soll im Folgenden anhand der 11. Folge, Kumo no Ito („Der Faden der Spinne“), exemplarisch geschildert werden. Japanische Literatur als Anime – Aoi Bungaku Series weiterlesen →