
Lust, einen Klassiker der modernen japanischen Literatur ganz gemütlich anzuhören? Wir bieten in zwei Teilen Werke von Akutagawa Ryûnosuke als Podcast. Hier: „Im Dickicht“.
Akutagawa Ryûnosukes Erzählung Yabu no naka („Im Dickicht“, 1922) ist eine Adaption einer Geschichte aus der mittelalterlichen Sammlung Konjaku Monogatarishû. Der Autor verleiht dieser Geschichte eine ganz neue Note, indem er das Geschehen (ein Verbrechen) aus den Perspektiven verschiedener beteiligter Personen schildern lässt. Die Zeugen widersprechen sich – und Akutagawa überlässt seinem Publikum die Entscheidung darüber, was hier nun die Wahrheit sein könnte, oder ob es so etwas wie eine objektive Wahrheit überhaupt geben kann.
„Im Dickicht“ liegt in einer deutschen Übersetzung von Jürgen Berndt vor, die in dem Band „Rashômon“ im Verlag Sammlung Luchterhand erschienen ist (2001).
Wir präsentieren diese Erzählung, die zur Vorlage für Kurosawa Akiras bekannten Film Rashômon (1950) wurde, hier im Hörbuch-Format. Wir wünschen viel Spaß beim Anhören!
Podcast-Produktion:
Noah Brelage, Hannah Greiner
Rollen:
Ansager – Hendrik Heider
Vom Untersuchungsrichter befragter Holzfäller – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragter Priester – Jana Hermanski
Vom Untersuchungsrichter befragter Freigelassener – Noah Brelage
Vom Untersuchungsrichter befragte alte Frau – Jana Hermanski
Tajomaru – Noah Brelage
Bekenntnis einer zum Tempel Shimizu gekommenen Frau – Jana Hermanski
Der Tote, sich des Mundes einer Totenbeschwörerin bedienend – Noah Brelage
Zunächst einmal möchte ich ein großes Lob aussprechen. Der Podcast (ich möchte fast schon lieber Hörbuch sagen) ist wirklich sehr gut geworden. Er ist überzeugend gesprochen und insgesamt sehr professionell gemacht, zuzuhören war entspannend und spannend zugleich. Eine großartige Arbeit von euch, und mal etwas ganz anderes als die üblichen Textbeiträge im Blog. Zuzuhören war einfach toll, ich hätte gern noch mehr Podcasts von euch!
Zur Geschichte selbst fällt es mir schwer, Akutagawas Version mit dem Original aus dem Konjaku Monogatarishû zu vergleichen. Das beginnt schon ganz zentral, da das Verbrechen, was am meisten im Fokus steht, jeweils ein anderes ist. Während in der Ursprungserzählung die Vergewaltigung der Frau das zentrale Ereignis ist, so ist es in Akutagawas Erzählung der Mord an dem Mann. Durch die Befragung der Zeugen und die somit entstehenden neuen Blickwinkel fühlt es sich fast wie eine gänzlich andere Erzählung an.
Was meiner Ansicht nach jedoch in beiden Versionen im Fokus steht, ist die Scham der Frau nach der Vergewaltigung, welche sie(besonders unter Berücksichtigung der Zeit und der damaligen Gesellschaft) ihrer Ehre beraubt hat. Das zeigt sich in der ursprünglichen Erzählung durch ihre Worte ihrem Mann gegenüber, wo sie ihn beschimpft und ihm die Verantwortung für die Tat gibt, da er einem Fremden Vertrauen entgegen brachte und so die Tat erst möglich wurde. Zudem hat er keinerlei Anstrengungen unternommen, um seiner Frau zu helfen.
In Akutagawas Geschichte zeigt es sich meiner Meinung nach von einer etwas anderen Perspektive. Zwar bringt auch dort die Frau ihre Scham zum Ausdruck, und fordert ihren Mann auf mit ihr gemeinsam zu sterben, da er Zeuge des Verbrechens wurde. Doch wird der Blick des Mannes während des Überfalls als „Verachtung“ beschrieben, was man als Spiegel der damaligen Ansichten betrachten könnte.
In beiden Versionen der Geschichte bleibt zudem eine Auflösung in der Erzählung aus. Im Ursprungswerk erfährt der Leser nicht, was aus dem Verbrecher wird oder wie das Paar nach der Tat mit den Ereignissen umgeht. In Akutagawas Werk wird durch die verschiedenen Aussagen der Zeugen dem Leser nicht einmal klar, was genau geschehen ist.
Meiner Ansicht nach werfen beide Versionen Fragen über Vertrauen auf, denn in der Konjaku Monogatarishû-Fassung ist es dieses Vertrauen, was das Verbrechen erst möglich macht und in Akutagawas Version ist es am Leser, wem er „vertrauen“ möchte, um sich über den Verlauf des Verbrechens ein Urteil bilden zu können.