Tezuka Osamu ist bekannt für seine Geschichten über Mensch-Tier-Hybride. Was heute nur noch wenige wissen: Der „Gott des Manga“ hat auch eine eigene Interpretation von Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ geschaffen. Diese Kurzgeschichte unter dem Titel Zamuza fukkatsu ザムザ復活 („The Resurrection of Samsa“, 1976) stellen uns hier Janina Lang und Charlotte Schröder vor. Wie der Titel schon verrät, geht die Geschichte für Samsa etwas besser aus als bei Kafka.
Bevor wir auf das Werk selbst eingehen, möchten wir euch den Autor vorstellen. Tezuka Osamu 手塚治虫 wurde am 3.11.1928 in Toyanaka in der Präfektur Osaka geboren und ist am 9.2.1989 im Alter von 60 Jahren an Magenkrebs gestorben. Der Manga-Zeichner, Anime-Regisseur und Arzt wird auch oft als „Gott des Manga“ oder als der japanische Walt Disney bezeichnet. Er hat viel zur Entwicklung von Manga und Anime in der Nachkriegszeit beigetragen und daher wird sein Name vielen Manga- und Anime-Fans geläufig sein. Ein nennenswertes Beispiel ist die Anime-Adaption seines Mangas „Kimba, der weiße Löwe“ (Janguru Taitei, erste Staffel 1965/66), welche die erste japanische Serie in Farbe war. Tezuka fing schon im Kindesalter an Comics zu zeichnen, die bei seinen Mitschülern beliebt waren, und drückte in diesen auch oft seine Liebe zur Tierwelt, insbesondere zur Insektenwelt aus. Im Alter von 11 Jahren wurde seine Faszination zu Insekten besonders deutlich, als er der Schreibweise seines Vornamens das Schriftzeichen 虫 (mushi, dt. Insekt, Käfer) hinzufügte und seinen Namen seitdem immer auf diese Weise schrieb.
Viele seiner Werke lassen sich dem Genre Science Fiction zuordnen, und eines der wiederkehrenden Themen ist die Vermenschlichung von Tieren. Laut Tezuka selbst ist insbesondere die Metamorphose ein Thema, welches ihn schon immer fasziniert hat. So ist es nicht verwunderlich, dass Tezuka, der oft Inspiration in verschiedensten Medien und auch dem Ausland suchte, sich entschloss, Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung zu adaptieren.
Diese Adaption wurde passenderweise als Teil einer Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlicht, welche den Namen Metamorufôze („Metamorphosis“) trägt. Publiziert wurde diese Reihe zuerst mit monatlich einer Kurzgeschichte im Magazin Gekkan Shōnen Magajin (Kodansha) von der Ausgabe April 1976 bis zur Ausgabe Januar 1977. Tezuka war jedoch zu sehr mit anderen Projekten beschäftigt, weswegen die Veröffentlichung nach sechs Kurzgeschichten eingestellt wurden. Als siebte Geschichte wurde der Sammlung in dem Magazin noch die Geschichte Okesa’s Hyôroku hinzugefügt, welche schon einmal im Jahr 1974 im Magazin Shūkan Shōnen Magajin veröffentlicht worden war. Die sechs Kurzgeschichten, die neu veröffentlicht wurden, sind: The Resurrection of Samsa, Benkei and Ushiwaka, Great General enters the Jungle, A House of Lies, Wolfbit und Story of the Sacred Square. Sie sind alle ausschließlich auf japanisch erhältlich. Die erste Geschichte, The Resurrection of Samsa, schauen wir uns im Folgenden genauer an.
In einer fiktiven Zukunft, in der aufgrund der menschlichen Überbevölkerung viele Tierarten ausgestorben sind, gibt es ein Reservat in Afrika, in dem Verbrecher aus aller Welt per Operation in Wildtiere umgewandelt werden. In diesem Reservat arbeitet der Protagonist Gregor Samsa als Wachpersonal. Dieser wird von seinem Chef aufgrund seines Charakters und vor allem seiner Fähigkeiten sehr geschätzt, doch als er sich in Elena, eine in einen Löwen transformierte Gefangene, verliebt und einen Wachmann erschießt, um ihr Leben zu retten, wird er selbst gefangen genommen und in ein Insekt verwandelt.
Zunächst vergisst er allmählich seine alte Existenz und fristet ein Dasein als Ungeziefer,
verbringt seine Tage in einem ständigen Wechsel aus Schlafen und Abfall Fressen und lebt ein für einen Käfer ungewöhnlich langes Leben. Als jedoch eines Tages sein ehemaliger Chef ihn bei seinem Namen nennt und auf ihn spuckt, erwacht sein Bewusstsein. Er beginnt, noch mehr zu fressen, bis er schließlich unbewegt und wie tot daliegt.
In der Nacht jedoch reißt sein Insektenpanzer, und er erscheint in seiner neuen Form, einer riesigen wespenartigen Gestalt, und rächt sich an seinem ehemaligen Chef, welchen er mit seinem Stachel ersticht (vgl. Abb. 3). Die Erzählung endet damit, dass er transformiert und stolz in die Nacht hinfort fliegt.

Das Leitmotiv der Erzählung, die Verwandlung von Mensch zu Tier, etabliert Tezuka gleich zu Beginn des Manga, indem er die Tiere des Reservats zeigt und eine Ähnlichkeit zu Menschen aufzeigt (vgl. Abb. 1). Dies wird bildlich verdeutlicht durch Aussehen und Mimik der Tiere, welche einen menschenähnlichen Körperbau aufweisen. Die Löwen zeigen einen männlichen bzw. weiblichen Körperbau, den Weibchen verleiht Tezuka sogar die Andeutung eines Busens und lange Haare. Auch die Zebras, Krokodile und Strauße haben unterschiedliche Gesichtsausdrücke und wie der Erzähler selbst sagt „menschliche Augen“. Diese bewusst gewählte Ähnlichkeit zu Menschen verdeutlicht, dass alle Tiere des Reservats ursprünglich menschlich waren und verwandelt wurden. Diese menschlichen Züge erscheinen auch im späteren Verlauf bei Samsa in seiner Gestalt eines Käfers, als dieser bei seinem alten Namen genannt wird. Seine Mimik verdeutlicht seine inneren Regungen und den Moment, in dem er anfängt, sich auf seine Metamorphose vorzubereiten (Abb. 2).

In Kafkas Original ist Gregor Samsas Verwandlung die von einem Menschen in einen Käfer, oder argumentativ eines in die Gesellschaft integrierten Mannes in einen Ausgestoßenen.
Seine Verwandlung, welcher Interpretation man auch Glauben schenken mag, führt letztlich dazu, dass er verelendet und verraten zu Grunde geht, nachdem sich die Gesellschaft und seine Familie von ihm abgewendet haben.

In Tezukas Adaption finden viele Verwandlungen statt. Samsa selbst macht zwei Metamorphosen durch, eine von außen erzwungene, die ihn in ein Insekt verwandelt, aber auch eine innere, eigenständig induzierte, die ihn von einer wertlosen, Abfall fressenden und verabscheuten Kreatur in ein mächtiges, „schönes“ und „stolzes“ Insekt verwandeln (vgl. Abb. 3). Während im Original Samsas Verwandlung seinen Untergang einläutet, spielt sie in The Resurrection of Samsa eine gänzlich andere Rolle. Zunächst ist es eine für seinen Verrat verhängte Strafe, dann jedoch transformiert er sich selbst, was seine Rache und eine neue Existenz ermöglicht. Einen Hinweis hierauf gibt auch der Titel „The Resurrection of Samsa“ – es handelt sich um eine Wiederauferstehung. Das Werk legt den Fokus bewusst nicht auf die erste, Unheil bringende Verwandlung, die in Kafkas Werk thematisiert wird, sondern auf die Wiedergeburt Samsas als mächtiges Insekt – ganz im Sinne der Metamorphose, die auch Namensgeber für den Sammelband ist.
Insgesamt ist auffällig, dass Tezukas Werk für eine reine Adaption von Kafkas Original fast schon zu frei erscheinen mag. Mit der Handlung des Originalwerks hat „The Resurrection of Samsa“ nur die Thematik sowie den Namen des Protagonisten gemein. Das Setting, die Nebencharaktere, die Charakterzüge des Protagonisten und selbst das Ende sind gänzlich unterschiedlich, was Tezukas Adaption, falls man sie so nennen mag, eine ganz eigene Dynamik sowie eine ganz eigene Moral verleiht. Tezuka hat die Geschichte nicht bloß adaptiert, er hat sie transformiert. Man könnte also sagen, dass auch die Erzählung eine Art Verwandlung durchlaufen hat.
Janina Lang und Charlotte Schröder