Manga-Szene im Umbruch: Scanlations und legale Alternativen

Scanlation auf einem E-Reader (c) Flickr cc, Keng Susumpow

Wenn westliche Fans Interesse an einem neuen Manga haben stellt sich oft die eine Frage: kaufen, oder doch lieber Scanlations lesen? Die inoffiziell von Fans übersetzen Manga, „Scanlations“, sind eine attraktive Alternative zum traditionellen Buchkauf. Sie sind sehr einfach online zu finden, kostenlos und jederzeit verfügbar. Es gibt nur ein Problem: sie sind illegal. Janne Flintz und Nina Witzke beschäftigen sich in diesem Artikel mit Fan-Übersetzungen und stellen verschiedene Ansätze vor, mit denen ein legaler Raum für Online-Manga geschaffen werden soll. 

Technisch gesehen befinden sich Scanlations in der gleichen Grauzone, wie Filme und Serien, die auf YouTube oder ähnlichen Seiten für den freien Gebrauch hochgeladen werden. Und während das Hochladen rechtliche Konsequenzen haben kann, führt der Konsum eher zu einem ethischen Dilemma. Der Zeichner  oder die Zeichnerin (Mangaka) verdient daran nämlich nichts.
Aber Scanlations sind sehr viel mehr als nur das illegale Wiederhochladen von schon vorhandenem Material. Anders als bei Filmen, die im Kino aufgenommen oder von DVDs oder BluRays gerippt werden, steckt echte Arbeit hinter Scanlations, denn die Fans machen all die Arbeit, die auch die offiziellen Übersetzer von Manga machen müssen. 

Wenn man sich eine Credit-Seite von Scanlations einmal ansieht, dann fallen einem direkt folgende Dinge auf. Es gibt nicht nur eine Person, die dahintersteckt, sondern eine ganze Gruppe. Es gibt Cleaner, welche die gescannten Mangaseiten „reinigen“, d.h. störende Flecken herauseditieren und den Kontrast anpassen, und Redrawer, die sich ums Retuschieren kümmern oder beschädigte Elemente neu zeichnen. Ein Übersetzer macht die gleiche Arbeit, die auch bei einer kommerziellen Übersetzung anstehen würde, und schließlich wird das Ganze von Typesettern editiert und zusammengesetzt und am Schluss noch einmal auf Qualität geprüft.
Es steckt eine Menge Arbeit hinter Scanlations — Arbeit, die nicht vergütet und als Hobby oder der Liebe zum Manga betrieben wird. Viele Scanlation Gruppen nehmen Spenden an, um ihre Websites und die Arbeit zu unterstützen, aber es als ein lukratives Geschäft zu bezeichnen wäre falsch.
Scanlation Gruppen sind sich den legalen Problemen ihrer Arbeit auch durchaus bewusst. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass ihre Leser die offiziellen Manga kaufen sollten, sobald sie erscheinen, um so den Autor zu unterstützen. Manche Gruppen wie sense-scans oder maigo bieten sogar immer nur die aktuellsten Kapitel auf ihrer Website an und löschen sie, sobald die Kapitel in einem legal erwerbbaren Band erschienen sind.

Obwohl Scanlations aufwendige Arbeit sind, die sich nicht auszahlt und mit der Gefahr von legalen Konsequenzen verbunden ist, besteht die Szene seit nunmehr zwei Jahrzehnten, denn sie füllt eine wichtige Lücke im Leben von Fans, die von traditionellen Mangaverlagen oft nicht abgedeckt wird.
Anders als bei Anime, die heutzutage mehr und mehr gleichzeitig auf der ganzen Welt erscheinen und somit Untertitel von Fans (Fan-Subs), die vor allem in den 2000ern populär waren, ersetzt haben, ist das ganze bei Manga etwas komplizierter. Manga erscheinen nach wie vor zuerst kapitelweise in japanischen Magazinen wie Shônen Jump, die nicht international vertrieben werden. Erst wenn eine gewisse Anzahl von Kapiteln erschienen ist werden sie in einem Band, sogenannten Tankôbon, zusammengefasst. Auf dem japanischen Markt natürlich. Das Lizensieren, Übersetzen und letztlich der Vertrieb im Ausland kann Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.

Das führt zu den Problemen, die eine gefühlte Notwendigkeit für Scanlations in der westlichen Fanszene geschaffen haben:

Keine legale Alternative. Viele Manga sind im Ausland einfach nicht legal zu erwerben. Dies ist vor allem der Fall, wenn sie sehr alt sind, als zu obskur gelten, oder Nebengeschichten/Kurzgeschichten sind, die von traditionellen Verlegern ignoriert werden, weil sie nicht sicher sein können, dass sich eine Investition in sie auszahlt. Fans, die sich für solche Werke interessieren, entweder weil sie neuere Serien eines Autors kennen, oder auf andere Weise von ihnen gehört haben, haben keine legale Option, solche Manga zu erwerben. Die japanische Version gibt es nur in Japan und selbst wenn man es schafft sie in einem lokalen japanischen Buchladen aufzutreiben, stellt die Sprache eine zu große Barriere dar.
In diesen Fällen sind Scanlations für die Fans gefühlt unabdingbar, vor allem weil sich Gruppen oft mit speziellen Genres, wie LGBT+ oder sehr alten bzw. obskuren Manga beschäftigen, weil die Gruppenmitglieder selber Fans dieser Themen sind. Somit füllen Scanlations eine Marktlücke, die von Verlegern entweder übersehen oder als zu riskant oder nicht lukrativ genug gesehen wird.

Verspätete legale Option. In den Zeiten des Internets und globalen Fan-Communities verbreiten sich Neuigkeiten sofort. Wenn ein neues Manga-Kapitel erscheint reden sofort alle über den Inhalt, vor allem wenn etwas schockierendes passiert ist, wie ein Plot-Twist, Tod eines wichtigen Charakters oder ein langerwarteter Kuss zwischen den Protagonisten. Wer das neue Kapitel nicht schnell genug liest, der wird was passiert ist als Spoiler erfahren. Dadurch, dass es so lange dauert bis Kapitel in einem Band zusammengefasst werden und im Ausland erscheinen und Scanlations hingegen oft innerhalb von Tagen der Veröffentlichung eines Kapitels herauskommen lohnt es sich für Fans einfach nicht zu warten, wenn sie an Gesprächen in der Fanszene teilnehmen wollen. Selbst bei sehr populären Manga wie Haikyuu!!  liegen zwischen dem Erscheinen eines Bandes in Japan und der Veröffentlichung in Deutschland in der Regel etwas über ein Jahr.
Scanlations sorgen dafür, dass jeder in online-Fan-Communities mithalten und Teil der Konversation sein kann.

Kosten. Geld ist einer der Hauptgründe warum Fans zu Scanlations greifen. Ein deutscher Mangaband kann zwischen 8-15€ kosten und wenn man sich eine komplette Reihe zulegen will, dann ist man sehr schnell bei sehr großen Summen. Bei großen Titeln wie Naruto liegt man bei 400€ für drei Boxsets. Selbst bei einer Reihe mit moderater Länge wie Soul Eater, die 25 Bände hat, kommt man auf 150-200€. Da viele Mangabegeisterte Kinder oder Teenager sind (oder zumindest in diesem Alter mit der Leidenschaft beginnen), sind solche Ausgaben so gut wie unmöglich zu bewältigen. Außerdem erlauben Scanlations Lesern sich einen Überblick über den Inhalt zu verschaffen, sodass man im Vorhinein sicher gehen kann, dass man einen Manga tatsächlich mag, anstatt sich Bände zu kaufen, die dann im Regal verstauben.
Die meisten Mangafans wollen ihre Lieblingsautoren unterstützen und auch wenn sie zuerst zu Scanlations greifen, kaufen sie sich oft im Nachhinein über längere Zeit die lizensierten Bände und bauen sich allmählich eine eigene Mangabibliothek auf. Das Ganze kostet nur einfach Zeit und Geld, was schwer mit dem schnellen Informationsaustausch in Fan-Communities zu vereinbaren ist.

Verfügbarkeit. So wie eBooks für viele Leser traditionelle Bücher ablösen, so gibt es auch unter Mangalesern eine Präferenz für das digitale Medium. Scanlations lassen sich über eine kurze Online-Suche auftreiben und immer überall sofort lesen. Das ist sehr viel einfacher, als einen Mangaband mit sich herumzutragen. Dazu kommt, dass sich Manga auch schneller lesen als reine textbasierte Bücher, dementsprechend schnell hat man das Ende eines Bandes erreicht, den man sich für eine lange Bahnfahrt eingepackt hat.
Bei Scanlations besteht das Problem nicht. Man hat auf seinem Smartphone oder Tablet jeden Manga in seiner Vollständigkeit zur Verfügung, auch solche, in die man aus Nostalgie spontan noch einmal einen Blick werfen will, oder Freunden zeigen möchte. Mit herkömmlichen gebundenen Ausgaben sind solche Sachen sehr viel umständlicher oder gar unmöglich.

Persönliche Präferenz. Manche Leser finden Scanlations besser als die offiziellen Übersetzungen. Das ist vor allem oft der Fall, wenn ein Manga lange Zeit nur als Scanlation existiert und sich die Leser an die Begrifflichkeiten gewöhnt haben—wenn ein offizieller Band erscheint kann es sein, dass er die Namen von Organisationen und Ähnlichem anders übersetzt. Manche Manga unterscheiden sich selbst im Titel. Was eingefleischte Fans dann als störend empfinden. Das gleiche gilt für diverse Übersetzungsentscheidungen, bei denen es aus dem Japanischen oft viele Ansätze gibt, vor allem in der Art und Weise wie Charaktere angesprochen werden. Wird das Japanische –san oder –sensei gelassen, oder zum Beispiel in Mr./Mrs. übersetzt? Es kommt auch vor, dass in der Übersetzung auf einmal der Vorname anstatt des Nachnamens verwendet wird, was z.B. bei Haikyuu!! der Fall ist. So etwas wird von Fans dann als störend genug empfunden, dass sie doch lieber zu Scanlations greifen.
Übersetzen ist keine Arbeit bei der es eine perfekte, richtige Lösung gibt, weder im kommerziellen Raum, noch bei Hobbyübersetzungen. Wegen der verschiedenen Herangehensweisen unterscheiden sich offizieller Manga und Scanlation doch sehr, und für einen Teil der Leserschaft sind Scanlations als Übersetzung „von Fans für Fans“ persönlicher und werden deswegen bevorzugt.

Was für Fans auch der Hauptgrund ist nach Scanlations zu greifen, Fakt ist, dass eine Nachfrage besteht. Fakt ist allerdings auch, dass es nicht immer mit dem Gewissen zu vereinbaren ist — vor allem wenn nicht nur die Scanlation-Gruppen ihre Leser dazu anhalten offizielle Manga zu unterstützen, sondern auch einige Mangaka selbst darum bitten, ihre Werke nicht durch Scanlations zu verbreiten. Vor allem Mangaka, die in Shônen Jump veröffentlicht werden haben mehrfach an die internationalen Fans appelliert, auf die lizensierten Versionen zu warten und ihre Manga nicht illegal weiterzuverbreiten.

Aber was kann getan werden? Welche Abhilfe lässt sich schaffen, wenn Scanlations eine solch große Nachfrage haben und eine klare Marktlücke füllen? Vor allem in den letzten Jahren sind mögliche Lösungen auf den Markt gekommen: legale Alternativen zu Scanlations.

Digital Manga. Diese Option wird unter anderem von Verlagen wie Yen Press angeboten, die es möglich machen, neu erschienene Kapitel direkt zu erwerben. Ein Kapitel kostet dabei knapp 2€, was für Manga, die monatlich erscheinen, ein Schnäppchen ist und selbst bei wöchentlichen Manga noch mit dem Taschengeld eines Teenagers zu decken wäre. Ein Nachteil besteht allerdings für solche Fans, die sich lieber den Band ins Regal stellen würden—sie müssten doppelt zahlen: erst das Kapitel, dann später noch einmal den Band. Aber das gleiche Problem zeigt sich schließlich auch, wenn man sonst einfach Scanlations liest. Die Fans, die gerne die Bände besitzen, die haben schon immer das extra Geld investiert und diese Alternative erlaubt ihnen ein wenig mehr in Richtung der Mangaka zu investieren.

„Netflix für Manga“. Seiten wie Comixology bieten nicht nur Mangakapitel digital zum Kauf an, sondern auch einen monatlichen Subscription Service, der einem erlaubt, Manga aus dem vorhandenen Katalog umsonst zu lesen, so wie es auf Netflix mit Serien der Fall ist. Mit $5.99 im Monat ist man sogar noch etwas billiger dabei. Crunchyroll bietet inzwischen einen ähnlichen Service, bei dem man mit einem Premium-Account für 5€ im Monat Zugriff sowohl auf das Manga- als auch das Animeangebot hat. Genau wie Scanlations sind diese Bibliotheken immer und überall verfügbar—nur eben legal.

MANGA Plus. Der Verleger hinter Shônen Jump und anderen populären Manga, Shueisha, hat eine Seite ins Leben gerufen, die Scanlations sehr nahe kommen. Wie in den vorherigen Beispielen handelt es sich um eine digitale Mangabibliothek, nur ist sie in diesem Fall kostenlos. Der Haken ist, dass MANGA Plus nur die ersten paar Kapitel einer Reihe und jeweils die neusten drei Kapitel zur Verfügung stellt. Das erlaubt neuen Fans ein Einblick in Serien zu gewinnen und erlaubt Langzeitlesern die neusten Geschehnisse mit zu verfolgen. Mit einem Klick gelangt man sehr leicht in den Shop, wo man sich die tatsächlichen Bände bestellen kann—wozu der Leser automatisch angeregt wird, da auf MANGA Plus ja immer nur eine Handvoll Kapitel vorhanden sind.

Diese neuen Optionen sind bis jetzt nur auf Englisch verfügbar, haben aber bereits dazu geführt, dass manche Seiten, wie z.B. MangaRock, all ihre Scanlations gelöscht haben und nun einen Index anbieten, der für jeden Manga auf eine legale Leseoption verweist. Der Markt und die Notwendigkeit beginnt sich langsam zu ändern.

Manche Fans hassen Scanlations, andere lieben sie — Fakt ist, fast jeder nutzt sie. Scanlations bieten viele Vorteile und haben für gut zwanzig Jahre eine klaffende Marktlücke gefüllt. Doch Manga ist schon lange kein obskures Hobby mehr; viele Titel werden weltweit verlegt, wenn auch weiterhin mit gewissen Verzögerungen. Daran wird sich vermutlich auch erst einmal nichts ändern, schließlich ist der Veröffentlichungsweg von Kapiteln im Magazin hin zu Bänden fest in Japan etabliert und die Lizensierung und das Übersetzen ins Ausland nimmt Zeit in Anspruch. Digital Manga kann Abhilfe schaffen und erlaubt Fans viele der Vorzüge von Scanlations zu genießen, nur eben legal und in mancher Hinsicht haben sie schon zu einer Veränderung im Dasein von Scanlation geführt. Sowohl Fans, als auch Scanlation-Gruppen wollen schließlich die Autoren der Werke unterstützen, die sie mit solch einer Leidenschaft lesen und übersetzen — trotz aller Barrieren.

Janne Flintz und Nina Witzke

2 Gedanken zu „Manga-Szene im Umbruch: Scanlations und legale Alternativen

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