„Tsure ga utsu ni narimashite“ – ein Essay-Manga über Depression

Abb. 1: Cover des Manga

Ein Manga zum Thema Depression, ist das nicht furchtbar deprimierend? Dass dem nicht so sein muss, erklärt uns hier Irina Jahn anhand des Werks Tsure ga utsu ni narimashite von Hosokawa Tenten.

In Deutschland herrscht teilweise das Image vor, dass „Manga“ sich vor allem an Kinder und Jugendliche richten. Doch in Japan gibt es eine große Bandbreite an Manga, die ganz unterschiedliches Publikum ansprechen können. Ein gutes Beispiel hierfür sind die sogenannten Essay-Manga, die meist autobiographisch sind und oftmals auch einen ernsteren Hintergrund haben. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Manga können Essay-Manga auch reine Textteile enthalten, d.h. kleine Essays zu einem Thema, das auch in den Manga -Teilen aufgegriffen wird.

In dem Manga Tsure ga utsu ni narimashite („Als Tsure an Depression erkrankte“, 2009)  reflektiert die Zeichnerin, Hosokawa Tenten, ihre persönliche Lebensgeschichte. Die Protagonisten ihrer autobiographischen Geschichte sind ihr Ehemann, genannt „Tsure“ und sie selbst, Tenten. Thematisiert wird der Krankheitsverlauf von Tsure, der in seinen späten Zwanzigern aufgrund seines stressigen Berufes an Depression erkrankt.

Anders, als der Titel es vermuten lässt, handelt es sich nicht um ein erdrückendes, komplexes Werk, sondern vielmehr um eine Art „Aufklärungsmanga“ über das Innenleben eines an Depression erkrankten Menschen – denn trotz der weiten Verbreitung der Krankheit in der heutigen Gesellschaft ist das genaue Krankheitsbild vielen Menschen noch immer unklar. Der Manga hebt sich von anderen Werken über Depression vor allem durch seine Leichtigkeit und Verständlichkeit ab. Die stark verzerrten, witzigen Zeichnungen lockern die Schwere der Thematik auf. Tsure ga utsu ni narimashite zeigt den Krankheitsverlauf der Depression, vor allem aber den Umgang mit der Krankheit im Alltag. In kurzen Kapiteln wird jeweils die pessimistische Sicht des betroffenen Mannes gezeigt, aber auch die Wirkung auf Außenstehende am Beispiel der Ehefrau, die mit der Situation anfangs gar nicht umzugehen weiß. Mittlerweile gibt es sowohl ein Tv-Serie (terebi dorama) als auch einen Film (Regie: Sasabe Kiyoshi, 2011) auf Basis des Mangas. Der Film widmet sich besonders der Beziehung des Ehepaares vor dem Hintergrund der Depression und thematisiert die Schwere des Themas noch etwas weniger intensiv als das Ursprungswerk.

Abb. 2: Tsure fühlt sich wertloser als Müll

Sowohl der Manga als auch der Film wurden dabei überwiegend positiv von den Zuschauern bewertet, vor allem von Personen, die angaben, selbst Betroffene zu sein. Der Charme des Mangas liegt vor allem darin, dass er dem Leser die Gedankenwelt eines Depressiven näher bringt, aber auch die Art, wie ein Betroffener auf äußere Einflüsse reagiert – und dabei völlig ohne komplexe, medizinische Begründungen oder Wertungen auskommt. Innere Monologe wie: „Nicht mal das habe ich auf die Kette gekriegt“ / „Selbst der Müll ist wohl mehr wert als ich“ S. 24–25, Abb. 2), verdeutlichen dabei das niedrige Selbstwertgefühl und die Hilflosigkeit, unter denen Betroffene oftmals leiden. Der Auslöser dafür, dass Tsure so denkt, ist folgende Situation: Er realisiert, dass er durch seine Depression nicht die Kraft hat, wie gewohnt seine Lunchbox selbst zuzubereiten. Er schildert zwar seiner Ehefrau seine Verzweiflung, doch kann diese das eigentliche Problem nicht nachvollziehen. Mit den besten Intentionen bietet sie ihrem Mann zwar an, künftig seine Lunchboxen für ihn zuzubereiten, doch damit löst sie weder das eigentliche Problem – das für Tsure darin liegt, dass er normalerweise in der Lage sein müsste, seine Lunchbox zuzubereiten – noch schenkt sie diesem Problem weitere Beachtung, obwohl es ihren Mann Tsure selbst beim Hinausbringen des Mülls noch beschäftigt. Er stellt sich schließlich sogar vor, dass es wohl besser wäre, wenn der Müll an seiner Stelle zur Arbeit gehen würde (Abb. 2).
Was im Manga selbst durch den verniedlichten Zeichenstil auf den ersten Blick fast schon parodistisch wirkt, spiegelt durchaus das Gefühl einiger Betroffenen wider. So kann eine Kleinigkeit, die von der Außenwelt schnell abgehakt wird, den Betroffenen selbst noch lange im Inneren beschäftigen und seine Laune maßgeblich beeinflussen.

Obwohl derlei Gedankengänge für Außenstehende oftmals nicht nachvollziehbar sind, trifft Hosokawa dabei das Gefühl, unter dem Betroffene häufig leiden, auf den Punkt. Der Manga bietet Anregungen dafür, wie man den Umgang mit Betroffenen besser gestalten könnte, zeigt aber vor allem auch, wie man mit ihnen eben nicht umgehen sollte. Ein Beispiel aus dem Manga: Die Ehefrau telefoniert mit ihrer Mutter, um sich bei ihr Rat einzuholen, wie sie sich nach der Diagnose der Krankheit verhalten soll. Sie rät ihr, ihrem Mann einfach mit ermutigenden Worten wie Ganbare! („Gib dein bestes!“) zur Seite zu stehen. Damit spiegelt sie die typische, instinktive Reaktion der meisten Außenstehenden wider. Dass abhängig von der Situation aber gerade diese ermutigenden Worte manchmal noch mehr Hilflosigkeit und Druck bei den Betroffenen auslösen können, wird in einem kurzen Essay, der an die Szene angeschlossen ist, erläutert (S. 20–21 und S. 53). Eine Reaktion, die ebenfalls typisch für viele unwissende Außenstehende ist, ist der Drang, dem Betroffenen gewisse Aufgaben einfach abzunehmen und sie für ihn zu erledigen, um ihn zu entlasten. Dass aber auch das keine Lösung für das bereits geschilderte Lunchbox-Problem ist, wird ebenfalls im Manga gezeigt. Weitere kleine Szenen, die eben solche Situationen schildern, bestimmen den Charakter des Manga.

Ein weiterer Schlüssel-Terminus des Manga, der die Denkart von manchen Betroffenen wohl gut verdeutlicht, ist dame ningen („unmöglicher Mensch / Taugenichts”). Tsure bezeichnet sich selbst häufig so, wenn er Rückschläge erleidet. Zuweilen ist der triste Alltag Tsures von massiver Antrieblosigkeit bestimmt, die es ihm beinahe unmöglich macht, aktiv zu werden.

Der Manga ist in vier Teile unterteilt, dem noch ein Zusatzpart hinzugefügt wurde. Im ersten Teil werden die Diagnose und der „Beginn“ der Krankheit thematisiert, im zweiten Teil geht es um den Tiefpunkt der Krankheit, in den nachfolgenden Parts werden die Besserung des Krankheitsbildes, neue Hoffnung, aber auch Rückschläge behandelt. Der Zusatzteil läutet eine Art „Happy End“ des Manga ein: Die Depression ist noch immer gegenwärtig, allerdings hat Tsure gelernt, die aktuellen Zustände zu akzeptieren, und sich nicht wie zuvor mit seinem gesunden Ich zu vergleichen. Diese neue Akzeptanz verleiht dem Familienalltag eine Art Balance und macht das Leben mit der Depression erträglicher. Die Familie ist zudem im letzten Teil durch ein Haustier namens Igu, ein grüner Leguan (iguana), gewachsen. Darauf folgt eine Art Abschluss-Essay von Tsure, der sich über mehrere Seiten erstreckt.

Vor allem in Japan gilt die Depression weiter als Tabu-Thema. Dennoch ist es der Zeichnerin gelungen, einen Manga über Depression zu veröffentlichen und damit eine breite Leserschaft anzusprechen. Durch die positive Resonanz der Leser wurde der Manga schließlich auch in den Medien thematisiert, und in Zeitungen wird hin und wieder auch über die persönlichen Entwicklungen des Ehepaares berichtet, wie beispielsweise die Geburt ihres Sohnes. Man kann also durchaus festhalten, dass Hosokawa mit ihrem Manga dazu beigetragen hat, alternative Sichtweisen auf die Krankheit zu finden.

Die Schlüsselbotschaft des Manga lautet: Es gibt einen Ausweg aus der Depression – jenseits von Suizid. Entgegen der weit verbreiteten Auffassung vieler Betroffenen, die keine Hoffnung auf Genesung haben, beschreibt Hosokawa in ihrem Werk das Leben mit der Depression und den Weg zurück in ein glückliches Leben. Wer sich dem Thema Depression auf einer lockeren, einfacheren Ebene annähern möchte, kann in diesem Manga eine unterhaltsame Einstiegsliteratur finden.

Irina Jahn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.