Ein Essay-Manga zum Thema Demenz

Abb. 1: Cover von „Pecoross‘ Mother and her Days“

Das Thema Demenz taucht in der japanischen Populärkultur in den letzten Jahren immer häufiger auf. Besonders große Popularität hat dabei der Manga Pekorosu no haha ni ai ni iku („Pecoross’ Mother and Her Days“, 2012) von Okano Yûichi erreicht, den Eri Temma in diesem Artikel vorstellt. Okanos Werk zeigt eine alternative Perspektive auf Demenz, die das Leben der Betroffenen als wertvoll und reich versteht. 

In Japan ist die Pflege der alten Menschen ein ernstes Problem. Vor allem ist die Pflege eine große Last für die Familie: Es herrscht in Japan immer noch die Ansicht, dass die Pflege von der Familie übernommen werden sollte. Mit der Verschärfung der Überalterung ist außerdem das Problem der Altersdemenz sowie der Pflege dementer Menschen immer dringlicher geworden.

Demenz wurde schon in den 1970er Jahren in der literarischen Welt in Japan thematisiert. Die Autorin Ariyoshi Sawako veröffentlichte 1972 einen Roman über Demenz unter dem Titel Kôkotsu no hito (engl. Titel: „The Twilight Years“), der zu einem der erfolgreichsten Romane zum Thema Demenz wurde. Dieser Roman wurde im Jahr 1973 verfilmt und er wurde mehrmals als TV-Serie (terebi dorama) umgesetzt. Im Roman wurde die Demenz mit den Begriffen boke und chihô beschrieben, die eine negative Bedeutung haben und heuzutage nicht mehr offiziell verwendet werden. Die beiden Begriffe haben Implikationen wie „dumm“ oder „psychisch krank“. John Traphagan stellt in seinem Buch „Taming Oblivion“ fest, dass Japaner es für ihren Selbstwert sowie ihre Identität für wichtig hielten, sozial nützlich zu sein. Boke werde gesellschaftlich so interpretiert, dass es den Personen misslungen sei, sozial aktiv zu bleiben und ihre mentale sowie physische Gesundheit zu behalten. Boke-Zustände würden  letztlich in der japanischen Gesellschaft als „sozialer Tod“ angesehen (vgl. Traphagan 2000: 4f). Der Manga Pekorosu no haha ni aini iku (Pecoross’ Mother and her Days) von Okano Yûichi stellt hingegen  boke als positiven Zustand dar.

Der Genre dieses Mangas ist sogennanter „Essay-Manga“, der auf der Erfahrung des Autors basiert: Es geht hier um die demente Mutter des Autors und sein Leben mit der Pflege.
Der Autor ist 1950 in Nagasaki geboren. Nach der Oberschule ging er nach Tokyo, um dort in der Manga-Abteilung eines Verlag zu arbeiten. Nach seiner Scheidung ging er mit seinem Sohn nach Nagasaki zurück, und nach einigen weiteren Berufserfahrungen arbeitet er jetzt als freier Schriftsteller. Nach dem Tod seines Vaters wurde seine Mutter dement, und er fing an sich neben seiner Arbeit ihrer Pflege zu widmen. Auf seiner Erfahrung basierend schuf er die Werke Pekorosu no haha ni ai ni iku und Pekorosu no Tamatebako („Pecoross’ Schatzkästlein“) , die zu Bestsellern wurden. Im Jahr 2012 wurde sein Werk Pekorosu no haha ni ai ni iku vom Verlag Nishi Nihon Shimbun Sha veröffentlicht und erhielt im nächsten Jahr den Preis „Japan Cartoonists Association Award Excellence Award“.  Außerdem wurde der Manga 2013 verfilmt.

Die Hauptfiguren sind Mitsue, die Mutter des Autors, und der Autor selbst: Yûichi bzw. Pekorosu. Der Spitzname Pekorosu ist an eine kleine Zwiebel angelehnt, denn Yûichi hat eine Glatze. Mitsue ist (im Manga wie in der Realität) 1923 in Amakusa geboren und zog nach ihrer Heirat nach Nagasaki. Sie hatte lange unter dem Alkoholismus ihres Mannes zu leiden. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie dement und wohnte in einem Altenheim, bis sie 2014 im Alter von 91 Jahren verstarb.

Abb. 2: Beispiel

Die Figuren in diesem Manga sind relativ vereinfacht gezeichnet. Sugawa-Shimada meint, dass die Merkmale des Essay-Mangas generell sehr vereinfachte Zeichnungen, einfach geformte Panels und Layouts und Figuren mit großen runden Punkt-Augen seien (vgl. Sugawa-Shimada 2011, S. 170). Die Figuren dieses Mangas haben zwar keine großen Punkt-Augen, der Malstil ist aber dennoch typisch für Essay-Mangas. Die Gestaltung der Panels basiert auf dem yonkoma-Manga-Stil, bei dem vier Panels senkrecht übereinander stehen. Manche Episoden sind auch auf zwei Seiten mit acht Panels dargestellt, und wieder andere erstrecken sich über mehrere Seiten, wobei acht Panels auf einer Seite angeordnet sind. Diese Darstellungsweise des Essay-Mangas hilft dabei, ein schwieriges, manchmal als Tabu behandeltes Thema den Lesern zugänglich zu machen. Für Japanisch-Lernende ist es wohl nur nicht immer ganz einfach, die Sprache von „Pecoross“ zu verstehen: die Figuren sprechen alle Nagasaki-Dialekt. Jedoch wirkt Mitsue gerade auch dadurch wie eine liebe Großmutter vom Land, was den positiven Gesamteindruck unterstützt.

Am Anfang des Mangas werden die täglichen Erfahrungen des Autors mit der Pflege vorgestellt. Z.B. gibt es eine Episode mit dem Titel Fuon kaishô no shohôsen („das Rezept für die Lösung der Unruhe“) (Abb. 2). Es geht hier um einen Besuch von Yûichi im Altenheim. Als er Mitsue besucht, sieht sie sehr böse aus. Er schiebt den Rollstuhl zu ihrem Zimmer, woraufhin sie schreit, dass er ein Räuber sei und jemand ihn festnehmen solle. Um sie zu beruhigen, zieht er den Hut aus und zeigt ihr seine Glatze. Dann lächelt ihn Mitsue an und sagt: „Ach, du bist es! Oh, dein Kopf ist schön glatt!“. Es ist hier impliziert, dass es ihr bereits schwer fällt, ihren Sohn zu erkennen. Aber durch die Episode mit der Glatze wird dies mit Humor dargestellt und die Szene hinterlässt insgesamt einen heiteren Eindruck.

Im Laufe des Mangas tauchen viele Erinnerungen von Mitsue auf, die durch Zeitsprünge dargestellt werden. Diese Episoden können eher als Phantasie des Autors angesehen werden, als seine Vorstellung davon, in welcher Welt seine Mutter jetzt lebt. Es gibt z.B. eine Szene, in der Mitsue sich an den Tag erinnert, als sie mit ihrem Mann zum ersten Mal zusammenzog. Als die Erinnerung endet und der Manga in die Realität zurückkommt, schaut Mitsue irgendwo hin, ohne etwas zu sagen, und eine Pflegerin sagt: „Oh, wohin schaut Mitsue-san denn?“. Der Inhalt der Erinnerung ist zwar eine Vermutung des Autors, aber die Szenen der Erinnerung haben die Funktion, uns einen Weg zu zeigen, die eigene Welt der Dementen zu akzeptieren. Es ist manchmal für Pflegende schwierig zu verstehen, was die Dementen sagen und tun. Wenn man jedoch bedenkt, dass sie in ihrer eigenen Welt leben, und ihr Verhalten im Hier und Jetzt mit den Handlungen in ihrer Welt zusammenhängen – wie man es bei Mitsue sehen kann – dann wird der Umgang mit Demenz für alle erleichtert.

Am Ende dieses Beitrags möchte ich nochmals betonen, dass der Autor die Demenz seiner Mutter sehr positiv wahrnimmt. Auf dem Buchumschlag (siehe Abb. 1) ist dazu folgender Kommentar von ihm zu finden: „Es war gut, dass du dement geworden bist, Mutter. Es war gut, dass du langsam gelandet bist. Ich bedanke mich für die lange Zeit mit dir“. Außerdem erzählt Mitsue Yûichi im Manga, nachdem ihr verstorbener Mann sie in ihrer Welt besucht hat, dass der boke-Zustand nicht so schlecht sei, wenn sie dadurch ihren Mann sehen könne. Der Autor verwendet zwar den teils auch negativ konnotierten Begriff boke, aber man kann es im Kontext des Manga so interpretieren, dass er und seine Mutter durch boke eine schöne Zeit verbracht haben und Mitsue ein gutes Lebensende hatte.

Dieser Manga gibt uns eine andere Perspektive der Demenz und macht uns einen Vorschlag dafür, wie man mit diesem unvermeidlichen Sozialproblem umgehen kann.

Eri Temma

 

Literatur:
Okano, Yûichi (2014): Pekorosu no haha ni ai ni iku. Fukuoka: Nishi Nihon Shinbunsha
Sugawa-Shimada, Akiko (2011): Rebel with causes and laughter for relief: “essay manga” of Tenten Hosokawa and Rieko Saibara, and Japanese female readership. Journal of Graphic Novels and Comics and Comics, vol. 2, No. 2, S. 169-185.
Traphagan, J. W. (2000). Taming oblivion. New York: State Univ. of New York Press.

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