Nanohana – Verarbeitung der Dreifachkatastrophe im Manga


Abb. 1: Cover der „Nanohana“-Ausgabe von 2016

In unserer Serie zu den Potenzialen des Mediums Manga stellt Diana Casanova das Werk „Nanohana“ vor, das sich mit der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 beschäftigt. Autorin von „Nanohana“ ist Hagio Moto, die mit ihren shôjo Manga und Boys-Love-(BL-) Werken bekannt geworden ist. 

Vor nun mehr fast sechs Jahren geschah in Japan die Dreifachkatastrophe vom 11.03.2011, die vor allem der Region Fukushima einen zweifelhaften Ruf verschaffte. Während das Erdbeben und besonders der daraus entstandene Tsunami Tausende von Menschenleben kosteten, zwang der nukleare Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima mehr als hunderttausend Menschen aus ihren Häusern zu fliehen, in die die meisten nicht mehr zurückkehren können. 
National wie international war die Kritik an der japanischen Regierung, am Atomkraftwerkbetreiber Tepco wie auch an der Atomkraft selbst immens. Doch auch das Medium Manga wurde verwendet, um das Thema Fukushima zu verarbeiten. Beispiele für derartige Manga sind „Ichiefu“ (Tatsuta Kazuto, 2013) und „Nanohana“ von Hagio Moto, welchen ich im Folgenden vorstellen möchte.

 

„Nanohana“ (なのはな, „Rapsblüte“) ist ein Manga-Sammelband mit fünf Kurzgeschichten, erschienen im Jahre 2012 vom Verlag Flower Comics Special. Diese sind einzeln erstmals im Magazin „Gekkan Flowers“ ab Juli 2011 veröffentlicht worden. 
Die Mangaka Hagio Moto (萩尾 望都), geboren 1949 in der Präfektur Fukuoka, gilt als die „Mutter des shôjo-Manga“, besonders auch shônen ai/BL, und hat bis heute zahlreiche Manga veröffentlicht, wobei sie sich nicht zwangsläufig auf ein bestimmtes Genre festlegt. Viele ihrer Werke wurden mit renommierten Preisen ausgezeichnet, darunter der „Tezuka Osamu Cultural Prize“ (1997) und der „Shogakukan Manga Award“ (1976). 2012 wurde Hagio Moto als erste weibliche Mangaka die japanische Ehrenmedaille (褒章) von der Regierung verliehen.

„Nanohana“ erschien als Reaktion auf das Fukushima-Desaster und alle Kurzgeschichten handeln davon bzw. von der Atomenergie im Allgemeinen. In diesem Artikel sollen die Eröffnungsgeschichte „Nanohana“ und die Abschlussgeschichte „Nanohana gensô: ginga tetsudô no yoru“ vorgestellt werden.
 In beiden Geschichten ist die Protagonistin ein Schulmädchen namens Abe Naho, die mit ihrer Familie nach der Katastrophe in der Region Fukushima lebt, allerdings aus ihrem alten Zuhause fliehen musste. Ihre Großmutter wurde vermutlich durch den Tsunami getötet, auch wenn ein Leichnam nie gefunden wurde und kein Begräbnis stattgefunden hat. Aus diesem Grund reden sowohl die Protagonistin als auch ihr Großvater sich ein, dass die Großmutter doch noch eines Tages zurückkehren wird.

Nachts träumt Naho von ihr und einem europäischen Mädchen in einem Blumenfeld, welche, wie sich später herausstellt, eine Überlebende der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 ist. Die Blumen aus dem Traum sind Rapspflanzen, die nach 1986 gepflanzt wurden, um die radioaktive Kontamination des Bodens einzudämmen. Als am Ende des Mangas der Vater mit einer kleinen Hand-Sämaschine zurückkehrt, die einst Nahos Großmutter gehörte, gesteht sich die junge Protagonistin schließlich ein, dass ihre Großmutter nicht wieder kommen wird. Doch sie verspürt auch den Wunsch, eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren und dort Raps pflanzen zu können.

In der Fortsetzung von „Nanohana“ hat Naho erneut realistische Träume, nachdem sie Miyazawa Kenjis berühmte Erzählung „Ginga tetsudô no yoru“ (銀河鉄道の夜, „Night on the Galactic Railroad“) gelesen hat. Zusammen mit ihrem älteren Bruder sitzt sie in einem magischen Zug, in dem ihre Großmutter, aber auch viele andere Menschen und vor allem Tiere mitreisen. Als der Zug einen kurzen Stopp einlegt, bekommt Naho die Möglichkeit, sich von ihrer Großmutter zu verabschieden, die schließlich ohne ihre Enkel wieder in den Zug steigt. Dieser fährt los, löst sich von den Schienen und schwebt in den Himmel, umgeben von einem Paar riesiger Hände und Füße und von Raps und Lotusblüten – der Zug wird begleitet von Buddha, während man im Hintergrund mehrere Windräder sehen kann (s. Bild 2).

Abb. 2: Der Zug schwebt in den Himmel. (Quelle: „Nanohana“, 148 – 149)

In beiden Geschichten steht Nahos Verarbeitung des Verlusts der Großmutter, ausgelöst durch den Tsunami, im Vordergrund. Hagio setzt sich nicht oder nur wenig mit der eigentlichen Atomkatastrophe auseinander und gibt nur unterschwellig Anzeichen ihrer Haltung demgegenüber, z.B. durch die Darstellung der Windräder gleichzeitig mit einer Buddha-Figur als eine Art Zeichen des Friedens und Befürwortung von alternativen Energiequellen.

Die anderen drei Kurzgeschichten im Sammelband („プルート夫人“, „雨の夜 – ウラノス伯爵“, „サロメ20xx“) sind in dieser Hinsicht wesentlich eindeutiger. In ihnen geht es um Menschen, die etwas lieben und heiß begehren, obwohl es ihnen in jeder Hinsicht schaden wird (die Atomenergie). 
Die Autorin greift weiterhin mit „Ginga tetsudô no yoru“ (1927) einen literarischen Klassiker auf. Wie auch in „Nanohana“ steigen die Protagonisten in dieser Erzählung von Miyazawa Kenji in einen Zug, der über die Milchstraße in den Himmel fliegt und Menschen, die das irdische Leben verlassen haben, fortbringt. Die Konfrontation mit dem Tod und Abschied sind zentrale Themen, wie auch deren Verarbeitung und Trost mit dem Wissen, dass man seine geliebten Personen noch treffen konnte und sie „an einem besseren Ort“ sind. Was ich besonders schön fand, ist die Tatsache, dass nicht nur verstorbene Menschen dargestellt werden, die den Zug zusammen mit Naho und ihrem Bruder nehmen, sondern auch viele Tiere, die sogar in der Überzahl sind. Hagio zeigt auf diese Weise, dass eben nicht nur Menschen Opfer des Erdbebens und des Tsunamis wurden, sondern auch die Natur.

Die Manga im Sammelband „Nanohana“ sind im klassischen shôjo-Stil, realistisch und doch sehr fantasievoll gezeichnet. Besonders die Geschichte „Nanohana“ und deren Fortsetzung handeln von einer Facette der Dreifachkatastrophe, die sehr vielen Betroffenen zugestoßen ist, aber worüber, überschattet durch die Schwere des atomaren Desasters, nur wenig berichtet wird. Auch wenn die Sprache an manchen Passagen durch die authentische Verwendung des Fukushima-Dialekts schwerer zu verstehen ist (oft sind jedoch Übersetzung und Furigana angegeben), lohnt sich ein Blick in diese beiden Kurzgeschichten, wie auch auf den Rest des Bandes.

Diana Casanova

 

Auf Popyura gibt es noch einen weiteren Beitrag zu einem Manga, der die Dreifachkatastrophe thematisiert: Miriam Flathmann hat eine Rezension zu „Ai ni iku yo“ von Nobumi und George Morikawa verfasst.

Sekundärliteratur zu „Nanohana“

Long, Margherita. 2014. „Hagio Moto’s Nuclear Manga and the Promise of Eco-Feminist Desire“. In: Mechademia, Volume 9, 3-23.
Suter, Rebecca. 2014. „The March 2011 Tohoku Disaster in Japanese Science Fiction“. In: Asia-Pacific Disaster Management: Comparative and Socio-legal Perspectives. Hrsg. Simon Butt, Hitoshi Nasu, Luke Nottage, 153 – 164. Berlin-Heidelberg: Springer Verlag.

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