
Manga ist mehr als Unterhaltung! In nächster Zeit werden wir hier einige Beiträge veröffentlichen, die sich mit dem Medium Manga und seinen Potenzialen beschäftigen. Den Anfang macht Lingdi Qu, die den „Hausfrauen-Manga“ Mainichi kaasan von Saibara Rieko vorstellt.
Comics und Manga sind als populäre Kunstformen weltweit beliebt. Über den reinen Unterhaltungswert hinaus birgt das Medium Manga jedoch noch weitere Potenziale: In Japan gibt es mehr und mehr Manga, die sich aktuellen und gesellschaftlichen Problemen widmen, wie zum Beispiel der Fukushima-Manga Ichiefu (Tatsuta Kazuto, 2013), der Demenz-Manga Pecoross‘ Mother and Her Days (Okano Yūichi, 2013), oder Mainichi kaasan (Saibara Rieko, seit 2002).
Der Manga Mainichi kaasan 毎日かあさん („Everyday Mother“) von Saibara Rieko wird seit Oktober 2002 in der Tageszeitung Mainichi Shinbun veröffentlicht. Saibara Rieko hat viele Manga für Erwachsene gezeichnet, die auf realen Erfahrungen basieren und diese lebendig beschrieben. Die Autorin ist selbst geschieden und alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Das Werk Mainichi Kaasan ist motiviert von ihrem eigenen Leben, von Scheidung, Wiederheirat und dem Tod ihres Mannes. Bereits am Titel Mainichi kaasan lässt sich erkennen, dass es in der Geschichte um eine japanische Hausfrau und Mutter geht, um ihr Alltagsleben, ihre Erfahrungen mit den Kindern usw. Saibara hat viele Preise für dieses Werk gewonnen, u.a. beim Japan Media Arts Festival Japan (2004), den Tezuka Osamu Tezuka Kulturpreis (2005) und einen Preis beim Japan Cartoonists Association Award (2011). Im Jahr 2011 wurde eine Filmversion veröffentlicht.
Shoji Kaori stellt in einem Artikel die Hintergründe zu Saibaras Mainichi Kaasan vor. Laut Shoji wuchs Saibara in einer sehr einkommensschwachen Familie in der Stadt Kôchi auf. Aufgrund der Einsamkeit, die sie häufig empfand, verfiel sie selbst dem Glücksspiel und Alkoholismus. Saibaras Geschichten spielen oft in Kôchi, und sie greift Themen wie Gewalt oder krankhafte Abhängigkeiten auf. In solchen Erzählungen treten häufig junge Frauen auf, die von ihren Familien verlassen wurden, als Sex-Sklavinnen missbraucht werden oder sich ständig betrinken. Trotz schwieriger Themen gestaltet Saibara ihre Geschichten jedoch so, dass sie von Hoffnung und Einfühlsamkeit geprägt sind. Die Autorin vertritt dabei die Ansicht, dass es im Leben Schönes und Schlechtes gebe, dies im Zusammenspiel aber das Leben ausmache.

Auf der ersten Seite des ersten Bandes von Mainichi kaasan ist ein Six-Panel-Manga abgebildet, in dem die Hauptfigur auf dem Meeresboden liegt (Abb. 2). Ihr Gesicht sieht sanft und ruhig aus. Begleitet wird dies von folgendem Text:
„Seit meiner Kindheit habe ich sehr häufig den gleichen Traum gehabt: Ich sterbe und versinke tief im Meer. Vom Meeresboden sehe ich nach oben – die Lichtstrahlen, die von der Meeresoberfläche herunterleuchten, sind so weich. Manchmal schließe und öffne ich meine Augen, kann das Plätschern der Wellen hören. Allmählich wiege ich mich auch mit den Wellen.“
Die blauen Farbtöne in den Bildern strahlen eine gewisse Ruhe aus, genau, wie es die Protagonistin beschreibt. Jedoch beschreibt sie als nächstes:
„Als ich aufwache, sind zwei kleine Kinder bei mir.“
Im Bild sieht man ein Schlafzimmer, in dem ein einziges Chaos herrscht: Bettdecken und Kissen sind durcheinander. Riekos Rückenansicht wird mit Schatten in grauer Farbe gezeichnet, so dass man sofort den Unterschied zwischen Traum und Realität erkennt.
In ihrem Hausfrauen-Manga schreibt Rieko über viele kleine Ereignisse aus dem Alltagsleben, ihre Familie, Kindererziehung usw. Mainichi kaasan gibt durch witzige Darstellungen und eine unterhaltsame Geschichte die aktuelle Situation von Hausfrauen in Japan wieder. Dennoch gibt es auch Stellen, die traurig und nachdenklich stimmen, wie zum Beispiel im Teil „ani yome pāto ichi“ (Band 1, S. 12), wo Rieko einen Zwischenfall mit ihrer Schwägerin schildert, der sich vor zehn Jahren ereignete.

Ihre Schwägerin war damals schwanger. In einer Nacht hatte sie fast zehn Minuten am Stück lang starke Geburtswehen und musste eigentlich sofort ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sie versuchte deshalb, ihren Mann aufzuwecken. Allerdings hatte dieser sich am Abend stark betrunken und wachte nicht auf (Abb. 3). Obwohl es im Buch eher lustig beschrieben wird, hat mich dieser Teil doch ein wenig erschrocken – immerhin sollte sich ihr Mann um seine hochschwangere Frau kümmern und sich in dieser Phase der Schwangerschaft nicht betrinken. Was mich im weiteren Verlauf der Geschichte noch mehr überrascht hat, ist, dass Riekos Schwägerin kurzerhand selbst mit dem Auto ins Krankenhaus fährt, während ihr betrunkener Mann auf dem Beifahrersitz schläft. Im Bild drückt sie das Lenkrad fest mit den Händen und ist wegen der starken Geburtswehen heftig am Schwitzen. Während sie vor Schmerzen stöhnt und dabei noch Auto fährt, schläft ihr Mann, noch immer betrunken, selig auf dem Beifahrersitz; sein Gesicht ist sehr gerötet und er sabbert im Schlaf. Der einzige Gedanke der Schwägerin, als sie kurz vorher noch im Bett liegt, ist: „Er ist betrunken, deshalb darf er nicht Auto fahren. Für ein Taxi habe ich kein Geld.“
Ich finde, dass die Autorin Rieko sehr lebensnahe Situationen von sich und ihrer bzw. Familien allgemein beschreibt. Dabei hat sie aktuelle Probleme im Leben von Hausfrauen und Müttern in Japan dargestellt. Schon lange werden das Kinderkriegen, Haushalt, die Kindererziehung und auch Altenpflege als Verpflichtung der Hausfrau betrachtet. In Mainichi kaasan werden diese Themen als normale Gegebenheiten des Alltags von Hausfrauen gezeigt. Ich würde sagen, dass man in diesem Manga nicht nur einfach etwas über das normale Leben von Hausfrauen in Japan erfahren kann, sondern dass auch Probleme, wie z. B. Genderfragen, auf unterhaltsame Weise thematisiert werden. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Manga in Japan eine Möglichkeit bieten könnte, Facetten der japanischen Gesellschaft kennenzulernen. Dies macht für mich auch das Potenzial des Mediums Manga aus.
Lingdi Qu