火垂るの墓 Die letzten Glühwürmchen (1988) – Eine Geschichte über das Sterben

Eine Reflexion über den berühmten Anime von Takahata Isao – von Isabelle Kullat

Bild Kullat
Die berühmte Bonbondose aus dem Film und die deutsche Blue-Ray. Foto: Isabelle Kullat

Der Film mutet selbst schon wie ein Glühwürmchen an: versucht man ihn zu fangen, erlischt seine Kraft langsam in der Gefangenschaft und durch die Begrenzung der menschlichen Worte. Ein Versuch sollte trotzdem unternommen werden! Was macht diesen Film so besonders, dass er es auch beim wiederholten Ansehen schafft, zu berühren und zu deprimieren? Und warum sollte man sich überhaupt einen solch deprimierenden Film ansehen?

Takahatas Isaos berüchtigter Anime aus dem Studio Ghibli basiert auf der in Teilen autobiografischen Kurzgeschichte Hotaru no haka („Das Grab der Leuchtkäfer“, 1967) von Nosaka Akiyuki und erzählt den Zuschauern die Geschichte der Geschwister Seita und Setsuko, die im 2. Weltkrieg nicht nur ihr Zuhause und ihre Familie, sondern auch ihren Platz in der Gesellschaft Japans verlieren, um am Ende einsam zu sterben. Nosaka Akiyuki verarbeitete in ihr seine eigenen traumatischen Erlebnisse während des Krieges und den Tod seiner kleinen Schwester. Er selbst hat den Krieg überlebt, findet aber in der Rolle des Seitas in der Fiktion seinen eigenen Tod. Das Werk scheint eine Entschuldigung an seine Schwester zu sein, die unter seiner missglückten Obhut den Hungertod fand.

Nosaka, der 2015 verstorben ist, gewann mit seiner Geschichte den renommierten Naoki-Literaturpreis. Die Filmadaption war dagegen kommerziell betrachtet kein Erfolg.

Das Ende der Geschichte ist in beiden Fällen der Anfang, denn mit dem Tod der beiden Kinder wird der Zuschauer zu allererst konfrontiert. Im Anime lauten die ersten Worte: „Am 21. September 1945 bin ich gestorben.“ Was kann man auch von einem Anti-Kriegsfilm erwarten?
Hoffnung? Nein. Es ist ein Film ganz ohne Hoffnung, und trotzdem hofft man weiter und fühlt mit den beiden Kindern, die doch nur versuchen zu überleben. Die Welt kann doch nicht so grausam sein.

Die Welt vielleicht nicht, doch der Krieg ist es. Der Kampf gegen ihn ist hoffnungslos, und ebenso die Versuche der Geschwister, sich ihre Kindheit zu bewahren.
Der Krieg ist im ganzen Film ein spürbares Element, doch Takahata kommt ganz ohne plakative Kriegsszenen aus. Wir sehen keine glorreichen Schlachten, sondern die Ohnmacht der einfachen Bevölkerung, insbesondere der Kinder. Das Leid, die Ungerechtigkeit, die Zerstörung und eine persönliche Tragödie. Krieg ist nirgendwo und doch überall. Schon der Titel der Erzählung und des Anime deutet dies an. Das übliche Kanji für Glühwürmchen hotaru 蛍 wurde durch das gleichlautende 火垂る ersetzt. Diese Zeichen bedeuten so viel wie „vom Himmel fallendes Feuer“ und bilden damit eine Metapher für den Anblick von Bomben während der Luftangriffe. Diesem Anblick des Grauens wohnt im Film eine makabere Schönheit inne, und er wird mit dem Anblick von Glühwürmchen kontrastiert, welche im Film eine tröstende Funktion einnehmen.

Die kleinen Tierchen mit der großen Bedeutung können aber auch als Metapher für die Kinder verstanden werden. Es heißt doch, dass Kinder immer die ersten Opfer des Krieges sind – und so erlöscht auch ihr Licht in diesem Film viel zu schnell, wie das eines Glühwürmchens.
Eine weitere Bedeutungsebene lässt sich durch die japanische Mythologie entdecken; dort können Glühwürmchen auch die Seelen der Verstorbenen repräsentieren. Ein Krieg fordert nun mal viele Seelen.
In einer Szene gibt sich Seita ganz der Phantasie hin, wie sein Vater an der Front gegen die Feinde zu kämpfen, und imitiert den Kampf mit einem Maschinengewehr. Er dreht sich wild umher und schießt, doch beim Erwachen aus der Vorstellung stellen er und die Zuschauer fest, dass dort keine Gegner zu finden sind, nur Glühwürmchen in der Dunkelheit. Der Krieg scheint wieder weit weg zu sein, doch seine Folgen sind präsent.

Seita versucht mit allen Mitteln, seine Schwester zu beschützen und für sie ein kleines Paradies fern von diesem Grauen aufzubauen. Die Symbolik des Krieges vermischt sich mit malerischen Szenen reiner Geschwisterliebe. Setsukos Freude über ein Fruchtbonbon, das Fangen von Glühwürmchen und deren fragile Schönheit oder das Spielen am Strand. Das Zusammenspiel der Extreme berührt, da es nur in einer solchen Extremsituation wie dem Krieg möglich zu sein scheint. Diese besondere künstlerische Ebene unterscheidet den Anime drastisch von seiner Vorlage, die in ihrer Kürze keine malerischen Beschreibungen der Umgebung enthält.
Der Tod der kleinen Schwester scheint einem unausweichlichen Skript zu folgen. Der Film lässt Raum für Liebe, doch vermag sie alleine niemanden zu retten, und so muss sich Seita von ihr verabschieden.

Die politischen Seiten eines Krieges werden in diesem Film nicht angesprochen. Es wird kein Feindbild aufgebaut und mit dem Finger auf die „bösen“ Ausländer gezeigt. Keine offensichtliche Moralpredigt darüber, dass Krieg schlecht ist. Krieg ist eben der Alltag, und das Sterben die Regel. Trotzdem oder gerade deswegen trifft der Film mit aller Kraft ein emotionales Zentrum und schreit geradezu nach einem Ende der Qualen.

Interessanterweise gibt Takahata Isao in einem Interview zum Film (das auf der deutschen Blue Ray enthalten ist) zu verstehen, dass es sich für ihn nicht nur um einen Anti-Kriegsfilm handele. Er solle die Zuschauer animieren, über das Verhalten von Seita nachzudenken, der laut Takahata die japanische Jugend der 1980er Jahre repräsentiere. Für uns mag es zum Beispiel verständlich, wenn nicht sogar eine positive Entscheidung Seitas sein, die unsympathische Tante zu verlassen, um sich selbst zu versorgen. Doch kann er sich diesen Stolz wirklich erlauben? Es ist eine bewusste Entscheidung seinerseits, die Gemeinschaft zu verlassen und zu glauben, dass er es alleine schaffen kann. Verurteilt er damit nicht seine Schwester zum Tode? Diese sorglose Haltung, die er auch im Japan der 1980er Jahre wahrzunehmen glaubte, wollte der Regisseur nach eigenen Angaben kritisieren.

Am Ende wiegt die Erkenntnis, dass es Kriegs-Schauplätze auf unserer Welt gibt, wo sich die Handlungen des Films täglich wiederholen, schwerer, als man es von einem Zeichentrickfilm (mit FSK-Freigabe von 6 Jahren) vielleicht erwarten mag. Er lässt einen wie betäubt zurück. Der Film schafft es zu deprimieren, weil er uns einen kleinen nachvollziehbaren Einblick in den Alltag eines Krieges nach Hause bringt und dieser in seinem Wesen nun mal traurig ist. Das ändert auch ein mehrmaliges Anschauen nicht. Unser Vorteil ist es, dass wir den Fernseher wieder ausschalten können, doch die Thematik des Films ist aktuell und dadurch einfach wichtig. Die Welt ist kleiner geworden und Krieg betrifft uns alle. Es geht noch nicht einmal um die Aufarbeitung unserer Vergangenheit, sondern um die der Gegenwart.

Das Leben ist wertvoll, auch in seiner Kürze und Intensität.

Literatur:
Grăjdian, Maria: Takahata Isao, Peter Lang 2010.
Akiyuki, Nosaka: Das Grab der Leuchtkäfer, Hamburg 1990.

Interview in:
Die letzten Glühwürmchen. Reg. Isao Takahata. Studio Ghibli, 1988. Blue-Ray.

3 Gedanken zu „火垂るの墓 Die letzten Glühwürmchen (1988) – Eine Geschichte über das Sterben

  1. Ich war beim Lesen angenehm überrascht, dass auf so viele wichtige Aspekte des Films eingegangen wurde.
    Unter Freunden oute ich mich immer, dass ich das ganze eher tragisch als traurig finde. Seitas Schuld am Tod der Schwester, aus Stolz und Ablehnung der Gesellschaft, wiegt zu schwer, weswegen ich es kaum nachvollziehen kann, wenn Zuschauer ganz unkritisch berichten, um was für einen traurigen „Anti-Kriegsfilm“ es sich hier doch handele.
    Meine Meinung mag da etwas extrem sein, aber ich bin froh, dass diese Interpretation im Artikel auch beleuchtet wurde.

  2. Bei der Recherche zu einer Hausarbeit letztens bin ich aus allen Wolken gefallen, weil ich erfahren habe, dass Nosaka in der Realität gänzlich anders gehandelt hatte als die Figur Seita, die man mit ihm identifiziert. Anscheinend war er mit der Situation und der Pflege seiner kleinen Schwester, die noch ein Baby war, überfordert. Um zu überleben soll er teilweise das Essen seiner Schwester weggenommen haben und wenn sie schrie und er sie nicht beruhigen konnte, soll er sie geschlagen haben. Nosaka war also mit verantwortlich für den Tod seiner Adoptivschwester. Hotaru no Haka kann man folglich, wie in dem Artikel genannt, mehr als Wiedergutmachung, Entschuldigung oder als Geschichte darüber, wie Nosaka gerne gehandelt hätte, sehen. In einem späteren Werk hat er aber auch seine tatsächlichen biographischen Erlebnisse geschildert in Form einer Mutterfigur, die überfordert mit ihrem Kind während des Kriegsendes ist und es letzten Endes zum Sterben zurück lässt.

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