
Eine Frau, die immer da ist, keine Kosten verursacht und immer nur nette Worte für einen übrig hat? Möglich ist das mit moe 萌え, der Liebe zu fiktionalen Figuren, die wir gestern in unserem Seminar behandelt haben.
In westlichen Medien sind moe und seine Erscheinungsformen zu einem beliebten Thema geworden, bedient das Phänomen doch Vorstellungen eines „so ganz anderen“, exotischen und sexuell irgendwie verdrehten Japans. Gerne wird über dakimakura berichtet – längliche Kissen, auf denen Anime-Figuren abgedruckt sein können (aber nicht müssen). Sehr großes Medienecho fand 2009 auch die „Hochzeit“ eines Japaners mit einer Videospiel-Figur. Solche extremen Ausprägungen sind wohl eher selten, dennoch ist moe ein bedeutender Diskurs, der in Japan auch in Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen gebracht wird.
Moeru otoko
Im Seminar haben wir Ausschnitte aus Honda Tôrus Moeru otoko (2005) übersetzt, ein Buch, das nach Erklärungen für das Auftreten von moe sucht. Honda ist Autor von Light Novels und gesellschaftskritischen Büchern (hyôron), sieht sich selbst als Angehörigen der Otaku-Kultur und bezeichnet eine Anime-Figur als seine yome, seine Frau. Seinen Alltag beschreibt er in Moeru otoko stark von seiner Leidenschaft bestimmt: Immer darauf bedacht, alle wichtigen Moe-Anime zu archivieren, nimmt er ständig Sendungen im Fernsehen auf, kopiert diese und kauft sich DVDs der besten Werke. Außerdem herrscht ein sehr reger Austausch mit anderen moeru otoko, so dass ihm insgesamt nur wenig Zeit für Bewegung und ein gesundes Leben bleibt.
Das Phänomen Moe erklärt er damit, dass in der heutigen Zeit eine Art „Liebes-Ideologie“ herrsche, die an die Stelle von Religion und politischen Ideologien getreten ist. Liebe sei zum Daseinszweck geworden und wer diese Liebe nicht erreichen könne, der verfalle in Depression, Selbstzerstörung oder Gewalttätigkeit. Es gebe aber einen Weg aus diesem Dilemma: „die Methode, die Liebe im eigenen Kopf entstehen zu lassen, besser gesagt moe“ (S. 134). Diese „Liebe im Kopf“ könne dem „Prinzip der wahren Liebe“ (jun’ai) viel mehr entsprechen als dies in der Realität möglich ist, da seit den 1980er Jahren Liebe gesellschaftlich immer mehr kommodifiziert werde. Ausdruck eines Werteverfalls und des Konsum-Charakters der Liebe seien zum Beispiel enjo kôsai (bezahltes Dating) oder Stalking.
Honda sieht außerdem in moe das Potential zur Befreiung aus patriarchalen Verhältnissen: „Für Männer, die sich vom Mythos der Männlichkeit unter Druck gesetzt fühlen und sich davon befreien wollen ist Moe eine Art von psychischer Oase. […] Moe-Männer ziehen sich von der Bühne des Liebes-Kapitalismus zurück, die eine Welt des Machismo und des Wettbewerbs ist, und wechseln in die vom Männlichkeits-Prinzip freie Mädchen-Welt.“ (S. 152). Dies äußere sich darin, dass moe-Männer Produkte konsumieren, die eigentlich für Mädchen (shôjo) gedacht sind. Sie bevorzugen das Genre der Liebeskomödie (rabukome), das seit Urusei Yatsura (Takahashi Rumiko) auch für Männer erschlossen wurde.
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Honda Tôru ist nur eine von vielen Stimmen im moe-Diskurs. Einen Überblick (Stand: 2009) bietet ein Artikel von Patrick Galbraith, der hier abrufbar ist.
Das Internet hält viele Möglichkeiten bereit, sich anhand von konkreten Beispielen näher mit dem Phänomen zu beschäftigen. Imaichi moenai musume zum Beispiel wurde von einer einzigen flüchtigen unbeholfenen Zeichnung zum geliebten moe-Objekt. Es gibt Wettbewerbe zur Kreation von moe-Charakteren, soziale moe-Netzwerke und Börsen, bei denen man Sprecherinnen für eigene Texte finden kann.
黒猫は俺の嫁!