
In diesem Artikel möchte ich drei Werke des japanischen Animationsfilm-Regisseurs Hayao Miyazaki vorstellen, in welchen unter anderem der Mensch in seinem Verhalten der Natur gegenüber reflektiert wird, sowie einen Bogen schlagen zu den Problemen, mit denen wir uns (vielleicht gerade heute) auch in unserer realen Welt konfrontiert sehen müssen. Dabei haben die Thematiken dieser schon etwas älteren Filme nichts an ihrer Aktualität eingebüßt – im Gegenteil. Anhand der Animationsfilme Prinzessin Mononoke, Nausicaä aus dem Tal der Winde und Das Schloss im Himmel lassen sich besonders gut Problematisierungen der Beziehung zwischen Mensch und (seiner) Umwelt festmachen. Nach eigener Aussage möchte Miyazaki selbst mit seinen Filmen lediglich unterhalten und keine tiefere Moral oder Botschaften vermitteln. Vielleicht liegt in diesen Worten aber auch die Absicht, keinen festen Rahmen vorzugeben, um der Imagination der Zuschauer bei ihrer eigenen Art der Interpretation keine Grenzen zu setzen. Gleichzeitig aber reflektiere laut Miyazaki ein Kunstwerk auch immer die Ereignisse seiner Entstehungszeit. Man kann dennoch nicht umhin, die Thematiken und Motive von Miyazakis Filmen zwangsläufig mit der eigenen Welt in Verbindung bringen zu wollen, da seine Werke einen enorm breiten Interpretationsspielraum lassen. In diesem Fall möchte ich versuchen, das Thema Mensch und Natur, das meiner Meinung nach eines der zentralen Motive in Teilen von Miyazakis Werken darstellt, zu betrachten. Welche Parallelen können wir ziehen zwischen Miyazakis phantasievollen Welten und unserer eigenen, insbesondere in Hinblick auf aktuelle Diskurse?
Beim Schauen von Miyazakis Filmen stechen wohl immer zunächst die wunderschön gezeichneten Bilder, die phantasievollen Plots und Schauplätze, die Charaktere und ihre Beziehungen, und bestimmt nicht zuletzt Joe Hisaishis wundervolle Musik hervor. Aber beim Nachdenken über einen Film, den man gerade sieht oder gesehen hat, wird man immer in irgendeiner Weise Verbindungspunkte zu seinen eigenen Erfahrungsbereichen finden wollen.

Der Anime Prinzessin Mononoke (1997) handelt von dem jungen Prinzen Ashitaka, der sich auf den Weg in die Wälder des Westens macht, um einen ihm von einem Dämon auferlegten Fluch abzuwenden, der ihn andernfalls töten wird. Dort gerät er in den Konflikt zwischen den Bewohnern der Eisenhütte unter Führung der Herrin Eboshi und den Tiergöttern des Waldes sowie der jungen Wolfsprinzessin San, wobei beide Parteien versuchen, sich ihren Lebensraum zu erhalten und so ihr Überleben zu sichern: die Menschen roden den Wald, um Eisen fördern und damit Schusswaffen produzieren zu können, von deren Verkauf sie leben (s. Abb. 1). Damit zerstören sie gleichzeitig den Wald, der der Lebensraum für San und die Tiergötter ist, welche sich gegen die Menschen wehren wollen und Eboshi nach dem Leben trachten.

Zentral ist der Konflikt Mensch gegen Natur, oder vielmehr der Konflikt um die Nutzung der Natur zur Sicherung des eigenen Überlebens. Wiederkehrende Motive sind die enorme Waldrodung durch die Menschen der Eisenhütte. Während der Wald als etwas sehr Lebendiges dargestellt wird, sind die Gebiete um die Eisenhütte herum nunmehr bloß totes, gerodetes Land (s. Abb. 2). Der Kopf des Waldgottes verspricht ewiges Leben, doch ohne diesen Gott ist die Natur und alles Leben im Sterben begriffen, was es letztlich auch den Menschen unmöglich machen würde zu überleben. Für die Antagonisten scheint dies jedoch bedeutungslos, solange sie ihre Ziele erreichen können.
Ausgebeutete, sterbende Natur und Menschen, die trotz allem ihre Zerstörung immer weiter fortsetzen – man muss zwangsläufig eine Parallele ziehen zu unserem eigenen Umgang mit der Natur. Natürlich müssen Menschen für ihr Überleben in gewisser Weise die Natur immer nutzen, dies wird auch im Film nicht bestritten: es findet keine absolute Schwarz-Weiß-Zeichnung von Protagonisten und Antagonisten statt, da die Motive beider Parteien nachvollziehbar erscheinen. Niemand ist wirklich böse, niemand wirklich gut, wie auch Jack Fletcher, Voice Director der US-Version, im Bonusmaterial der englischen DVD-Fassung des Films bemerkt. Das macht im Normalfall die Natur des Menschen aus. Dennoch könnte man auf den Wunsch nach der Einstellung exzessiver Ausbeutung hin zu einer gemäßigteren Nutzung der Umwelt schließen. Dies wird am Ende des Films deutlich, wenn Ashitaka, der in gewisser Weise stets als Vermittler und Bindeglied zwischen beiden Parteien fungiert und niemals einer Seite explizit zugeordnet werden kann, sich entscheidet, bei den Menschen der Eisenhütte zu bleiben und diese nach ihrer Zerstörung sogar wieder aufzubauen, allerdings mit der Versicherung der Herrin Eboshi, diesmal eine bessere Stadt zu erbauen.

Das Motiv der Waldrodung im Film (s. Abb. 3) kann in unserer Welt in Verbindung gebracht werden mit der Rodung insbesondere des Regenwaldes, welche mitunter den Klimawandel herbeiführt, der heute wohl mehr als je zuvor diskutiert wird und dessen Folgen wir immer stärker zu spüren bekommen. Die Bereitschaft der filmischen Charaktere, den Waldgott zu töten und damit die eigene Vernichtung in Kauf zu nehmen, weist auf das Potenzial der Menschheit hin, durch ihren Umgang mit der Natur gegebenenfalls ihre eigene Auslöschung herbeizuführen. Auch die Produktion und Nutzung von Schusswaffen wird thematisiert, wobei die zerstörerische Wirkung nicht beschönigt wird. Generell werden der Gebrauch von Waffen und seine Folgen durch extreme Bilder verdeutlicht: abgetrennte Arme und Köpfe sind keine Seltenheit.
Der Film Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984) ist eine Dystopie, die die Welt 1000 Jahre nach einem verheerenden Krieg beschreibt, in welchem die Menschen sich selbst an den Rand der Auslöschung gebracht haben. Der Krieg hat Wasser, Erde und Luft verseucht, das Meer der Fäulnis, ein enormes Waldareal aus giftigen Sporenpilzen beschützt von Rieseninsekten, ist entstanden und bedroht auch noch die letzten Überlebenden. Prinzessin Nausicaä jedoch findet heraus, dass der Wald lediglich giftig ist, weil die Pflanzen das Wasser und die Erde, die von den Menschen verseucht wurden, vom Gift befreien. Der Wald ist also gleichzeitig lebensgefährlich, aber auch unerlässlich für das Überleben der Menschen, da nur er die Welt entgiften und für Menschen wieder bewohnbar machen kann (s. Abb. 4).


Wie abwegig ist die Vorstellung von einer verseuchten, für Menschen unbewohnbaren Erde? Auch wenn sich über die tatsächliche Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines riesigen Schimmelpilzwaldes streiten lässt: Man muss sich nur beispielsweise das Atomunglück von Fukushima ins Gedächtnis rufen, um einen Vergleich ziehen zu können: Quadratkilometer Land, für sehr lange Zeit verseucht und unbewohnbar gemacht – durch die Schuld von Menschen. Ersetzt man nun den im Film erwähnten Krieg, der als „Sieben Tage des Feuers“ bezeichnet wird, durch die theoretische oder potentielle Gefahr und Möglichkeit eines Atomkrieges, könnte man einen ungefähren Vergleich ziehen, wobei die Folgen des realen Szenarios vermutlich ungleich schlimmer wären. Auch die filmischen Bilder zu den Geschehnissen des fiktiven Krieges, wie bestimmte Explosionen, weisen Ähnlichkeiten zur Explosion einer Atombombe auf (s. Abb. 5).
Desweiteren ist im Film die Rede von einem „Säuresee“. Auch hier fällt einem die Assoziation mit verseuchtem Grundwasser, verseuchten Seen, Flüssen oder Meeren nicht schwer; sei es nun durch unsachgemäße Ableitung von durch die Industrie verseuchtem Abwasser in umliegende Gewässer oder die Belastung der Weltmeere mit Plastikmüll.

Bei Das Schloss im Himmel (1986) lassen sich nicht in erster Linie ökologische Themen als zentral herausstellen, vielmehr ist hier das Streben des Menschen nach Geld und vor allem Macht ein Motiv. Hier soll nur ein weiteres Mal die Ähnlichkeit der filmischen Darstellung einer vom fliegenden Schloss Laputa herbeigeführten Explosion mit der einer Atombombe hervorgehoben werden (s. Abb. 6). Auch das Zitat der Protagonistin „[…] du brauchst doch die Erde, um überleben zu können!“ stellt in einfachen, klaren Worten den Kern bei der Diskussion um das Verhältnis von Mensch und Umwelt heraus: ohne die Erde gibt es keine Menschen. Und doch: Wie kann es sein, dass die Menschheit gerade das, was ihr das Leben ermöglicht, immer weiter zerstört, in vollem Bewusstsein und völliger Ignoranz?
Zuletzt möchte ich noch mein Bedauern darüber anfügen, dass in unserem westlichen Kontext Anime im Allgemeinen – und damit auch Hayao Miyazakis Werke – von Erwachsenen häufig noch immer als „Kinderfilme“ abgetan werden, vermutlich, weil Zeichentrick mit der gängigen Unterhaltungsform für Kinder gleichgesetzt wird, während für erwachsene Zuschauer Filme mit realen Schauspielern als angebracht erscheinen. Selbst Claire Danes, die berühmte US-amerikanische Schauspielerin, die in der englischen Version von Prinzessin Mononoke als Synchronsprecherin dem Charakter der San ihre Stimme lieh, gab im Bonusmaterial der DVD der englischsprachigen Filmfassung zu, die Herausforderung, die Miyazakis Werk letzten Endes für sie dargestellt hätte, zu Anfang unterschätzt zu haben. Sie sei zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Film lediglich um simplen „kid stuff“ gehandelt hätte, sei davon aber schnell abgekommen. Ebenso bewertete beispielsweise die deutsche Fernsehzeitschrift TV14 Nausicaä aus dem Tal der Winde in der Kategorie „Anspruch“ mit drei von drei möglichen Punkten.
Ich fände es wünschenswert, dass sich auch im westlichen Kontext mehr Erwachsene auf Anime einlassen würden, gerade wenn es um so großartige Werke wie die von Hayao Miyazaki geht, die eine solche Vielfalt an Themen und Motiven und damit auch an Moral und Lehren aufweisen, in denen so viel Phantasie wie Wahrheit steckt und einem die menschliche Natur so deutlich vor Augen führen können. Denn wie phantasievoll ein solches Werk auch gestaltet sein mag, wie vielfältig und andersartig eine solche Welt auch erscheinen mag: letzten Endes geht es wohl doch „nur“ um uns selbst.
Vielen Dank für den sehr schönen Beitrag! Sie haben einen sehr leserfreundlichen und eleganten Schreibstil. Das Thema des Verhältnisses Mensch – Natur, das bei vielen Miyazaki-Filmen sehr zentral auftaucht, haben Sie hier sehr gut und auch schon ziemlich ausführlich herausgearbeitet. Damit ist praktisch schon der Startschuss für eine Hausarbeit gegeben 🙂
Für die Hausarbeit müsste man dann nur noch die Ebene der persönlichen Assoziationen herausnehmen – die ich für einen Blogartikel jedoch wirklich stimmig finde!
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel! Besonders gefallen haben mir die Zitate von Miyazaki selbst und deren, wie ich finde, Widersprüchlichkeit, indem er behauptet, dass die Werke keine Kritik an unserem Umgang mit der Natur darstellen, aber gleichzeitig eine Verbindung zwischen Werk und Entstehungszeit herstellen. In einer Zeit, in der die Erhaltung und der Umgang mit der Natur besonders in den Vordergrund stehen, bedeutet dies im Grunde, dass er durchaus Kritik an unserem Umgang mit der Natur herstellt, dieses jedoch z.B. versucht zu verschleiern, um eventueller anderweitiger Kritik an ihn selbst zu entgehen, oder weil er selbst den Schwerpunkt eher im Bereich des Krieges bzw. der Nachkriegszeit sieht und das Mensch-Natur Thema nur als Unterpunkt.
Ich finde deinen Schreibstil sehr flüssig und gut lesbar. Es fiel mir sehr leicht, mich an die Filme zu erinnern und mich wieder in sie hineinzuversetzen. Gleichzeitig fiel es mir aber auch sehr leicht deinen Argumente zu folgen, denen ich voll und ganz zustimmen kann. Was auch immer Miyazakis wahre Absichten sein mögen, so spielt die Natur in all seinen Werken eine Rolle, auch wenn sie nicht im direkten Fokus steht, wie es im Film „Das Schloss im Himmel“ der Fall ist.
Vielen Dank für deinen Kommentar. Welche Gedanken und Absichten eines Künstlers tatsächlich hinter seinen Werken stecken, darüber lässt sich im Grunde ja immer nur spekulieren. Ich wollte auch nicht ausdrücken, dass die Lesart der Kritik am Umgang des Menschen mit der Natur abgestritten wird, sondern nur, dass nicht der Anspruch erhoben wird, mit intendierten Botschaften moralisieren zu wollen. Miyazakis Werke sind aber ohnehin so umfangreich, dass man sich Deutungen praktisch nicht entziehen kann und für den Zuschauer ist es ja auch positiv, wenn möglichst viel Interpretationsspielraum gegeben ist.