J-Horror: The Media has Eyes

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Flickr cc, Andrei Niemimäki

In den 1950er Jahren war die Welt noch in Ordnung. In japanischen Horrorfilmen wie Tôkaidô Yotsuya Kaidan von Nakagawa Nobuo (1959) hatten die Geister ein klares Rachemotiv und ihr schauriges Auftreten war völlig nachvollziehbar. War ihr Rachedurst gestillt (heißt zum Beispiel: der böse Ehemann beseitigt), so konnten sie sich beruhigt ins Jenseits zurückziehen. Und was vielleicht das Wichtigste ist – die Geister waren Relikte einer längst vergangenen Zeit und die Handlung in der Edo-zeitlichen Vormoderne angesiedelt. Der Grusel konnte daher immer aus einer gewissen Distanz genossen werden. Ganz anders sieht es im J-Horror aus: Die Geister haben sich mitten im Großstadtleben festgesetzt, machen Apartmenthäuser unsicher, und was sie eigentlich antreibt kann man zwar ahnen, aber eine wirkliche Lösung ihres Fluchs ist nicht in Sicht. Als Heimstatt hat sich das Unheimliche ausgerechnet die Technologien ausgesucht, mit denen die Menschen täglich zu tun haben und auf die sie am meisten angewiesen sind: Handy, Fernseher, Internet usw.

Warum nutzen Geister im J-Horror so gerne Medien und Kommunikationstechnologie als Portale? Und wie wirkt dieses unheimliche Motiv? Einige Erklärungsansätze liefert ein Aufsatz von Tom Gunning (2004), den wir gestern im Seminar gelesen haben: „Re-Newing Old Technologies: Astonishment, Second Nature, and the Uncanny in Technology from the Previous Turn-of-the Century.“ Tom Gunning ist Professor für Cinema and Media Studies an der Universität Chicago und hat u.a. auch zum Thema Geisterfotografie publiziert.

„[…] the repressed material returns with a vengeance“, zitiert Gunning Shievelbusch (S. 46), und erklärt damit folgenden Effekt: Durch Gewöhung werden neue Technologien schnell alltäglich, und Gedanken über die Funktionsweise des Gerätes oder eventuelle Risiken geraten in den Hintergrund. Tritt jedoch eine Störung oder auch nur ein Gefühl der Unsicherheit auf, so erscheint das allzu Vertraute plötzlich wieder unvertraut oder gar unheimlich. Gunning bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Freuds Theorie des Unheimlichen, nach der das Unheimliche nichts Neues oder Fremdes ist, sondern etwas dem Seelenleben „von alters her Vertrautes“, das ihm durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist. Zu diesem Verdrängten gehört nach Freud auch der scheinbar überwundene animistische Glaube an die Beseeltheit der Natur, an Magie und ähnliches. Dieser Glaube kann jedoch jederzeit wieder hervorbrechen, nach Gunning auch oder gerade im Zusammenhang mit Technik:

„The reception of techology allows re-enchantment through aesthetic de-familiarization, the traumatic surfacing of allayed fears and anxieties, as well as the uncanny re-emergence of earlier stages of magical thinking.“ (S. 47)

Besonders in den Technologien der Reproduktion, also Fotografie, Film, Tonaufnahmen etc., sieht Gunning ein großes Potential für das Unheimliche und verweist hier vor allem auf die Rezeption dieser Technologien in der Zeit der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Sie schaffen Abbilder des Menschen, reproduzieren ihn, konstruieren Doppelgänger und überschreiten den Tod. Zugleich erinnern Aufzeichnungen von Menschlichem ständig an Sterblichkeit: „Each delivers an uncanny foretaste of death, as a peculiarly modern Memento Mori. The proclaimed technological defense against death became death’s image.“ (S. 48)

Im J-Horror wird dieses von Gunning beschreibene unheimliche Potential von Medien reichlich ausgeschöpft: In Chakushin ari zum Beispiel hören die Opfer des grollenden Geistes eine Aufzeichnung ihrer Stimme aus der Zukunft, die ihren eigenen Tod ankündigt. In fast jedem J-Horror-Film kommen shinrei shashin vor, Geisterfotografien, auf denen zum Beispiel verschwommene unheimliche Wesen zu sehen sind oder die Gesichter der fotografierten Menschen zu Fratzen verzogen sind. Hier fungieren die Fotos nicht mehr als Referenz auf die bekannte „Realität“, sondern erfassen etwas, das in einer anderen Zeit- oder Erfahrungsebene liegt. Das Medium hat eine selbständige Wahrnehmung, die die des Menschen überschreitet. Auch Überwachungskameras machen in diesen Filmen Dinge sichtbar, die menschliche Sinne nicht erfassen können.

Wie wir in der Diskussion feststellen konnten, ist diese Nutzung von Medien als unheimliches Motiv kein rein japanisches Phänomen. Der Fernseher als Geister-Portal taucht schon in Poltergeist (1982) auf, und Tonaufnahmen spielen eine wichtige Rolle in The Exorcist (1973) oder The Changeling (1980). In der Paranormal-Activity-Reihe wird die multiperspektivische Nutzung von Medien noch weiter auf die Spitze getrieben.

Die widerspenstigen Medien sind in jedem Fall ein interessanter Fokus für die Betrachtung von J-Horror, auch in anderen Genres wie Videospielen (z.B. Project Zero). Zu Ringu ist bereits ein ganzes Buch erschienen, das sich mit dieser Thematik beschäftigt: The Scary Screen (2013, in der ULB vorhanden). Im Mai wird ein weiteres interessantes Werk von Lars-Robert Krautschick zu diesem Themenbereich unter dem Titel Gespenster der Technokratie erscheinen, das sich sowohl mit japanischen als auch amerikanischen Filmen beschäftigt.

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