
Sie sitzen mit Augenringen im Keller ihrer Eltern, horten wunderliche Dinge und unnützes Wissen, haben im Grunde kein Leben – so in etwa stellte man sich vor 20 Jahren das Klischee eines Fans vor. Vor allem Fans von Medienprodukten wie „Star Trek“ wurden skeptisch beäugt, wie die legendäre „Saturday-Night-Life“-Episode belegt, in der eine Star-Trek-Convention parodiert wird. „Get a life!„, ruft dort William Shatner alias Captain Kirk seinen Fans zu. Das Bild hat sich seitdem beträchtlich gewandelt: Fans sind heute durch Crowdfunding zu Investoren geworden, sie schaffen eigene Werke und es gibt kaum noch einen Medienproduzenten, der nicht der Stimme des Fandoms lauscht. Einer der schon vor über 20 Jahren das Potential des Fandoms erkannt hat, ist der Medienwissenschaftler Henry Jenkins, dessen Klassiker Textual Poachers (1992) wir uns gestern vorgenommen haben.
Jenkins hält schon in der Einleitung des Buches mit seiner eigenen Motivation nicht hinter den Berg: „When I write about fan culture, then, I write both as an academic […] and as a fan“ (S. 4). Er erklärt, wie er gerade über sein eigenes Fan-Sein einen guten Zugang zum Fandom habe finden können, und dass er die Fans als aktive Mitarbeiter seines Forschungsprozesses betrachtet habe. Jenkins beteiligte die Fans an seinem Schreibprozess, indem er ihnen Texte vorlegte, Diskussionsrunden veranstaltete und unzählige Briefe in seine Arbeit einfließen ließ. Es geht ihm wie er erklärt darum, gängige Stereotype zu Fandom infrage zu stellen und aufzuzeigen, wie divers, komplex und reich Fankultur sein kann.
In Textual Poachers beschreibt Henry Jenkins 5 Dimensionen der Fankultur:
a) Eine besondere Art der Rezeption, bei der Austausch, Artikulation und Diskussion bereits gleichzeitig mit der Rezeption ablaufen
b) Besondere kritische und interpretative Praktiken („Lesarten“ des Fandoms)
c) Fans als aktive Konsumenten, die Einfluss auf die Produktion nehmen können
d) Eigene kulturelle Produktion und ästhetische Traditionen
e) Eine alternative soziale Gemeinschaft, die das Fandom bietet
Henry Jenkins fordert damit die vorher in den Medienwissenschaften gängige Auffassung heraus, dass das Publikum den Medientexten nur passiv ausgeliefert sei. Er geht sogar davon aus, dass es nicht möglich ist, klare Grenzen zwischen Produzenten bzw. Künstlern und Konsumenten zu ziehen. Die Massenkultur liefere „Rohmaterialien“, aus denen Fans ihre eigenen Meta-Texte kreierten, die oft sogar viel reichhaltier seien als das eigentliche Produkt. „Once television characters enter into a broader circulation, intrude in our living rooms, pervade the fabric of our society, they belong to their audience and not simply to the artists who originated them.“ (S. 279)
Im Seminar fielen uns zahlreiche Beispiele ein, die Jenkins‘ Thesen bestätigen: One-Piece-Fans setzen die Geschichte selbst fort und vertreiben sich damit die Zeit des Wartens bis zur nächsten Veröffentlichung, in dôjinshi werden zahlreiche eigentlich „unmögliche“ Beziehungen gestiftet und schon Ende des 19. Jahrhunderts durfte Arthur Conan Doyle erleben, was es heißt, wenn man gegen die Wünsche des Fandoms schreibt (er hatte Sherlock Holmes sterben lassen). Es gab jedoch auch Kritik an Jenkins‘ Thesen: Fan-Sein ist bei ihm immer mit Interaktion und Produktion verbunden. Viele Studierende fühlen sich jedoch als Fans, ohne selbst besonders aktiv zu sein oder Kontakt mit anderen Fans zu haben. Besonders eindrücklich war der Bericht einer Studentin, die über Jahre in einem kleinen Dorf sozusagen „isoliert“ als enthusiastischer Pokemon-Fan gelebt hat und erst sehr spät die Möglichkeit bekam, sich über ihr Interesse auszutauschen.
Durch die sozialen Medien besteht jedoch mittlerweile für jeden Fan die Möglichkeit, in eine Interaktion mit anderen Fans zu treten – selbst im kleinsten Dorf am Niederrhein 😉 Wie sich dadurch die Welt des Fandoms seit dem Erscheinen von Jekins‘ Buch verändert hat, hat eine Seminar-Gruppe anschaulich festgehalten:

Auch Jenkins geht in seiner aktuellen Forschung viel auf das Potential neuer Medien ein. Nachlesen kann man das auch in einem Popyura-Artikel über Jenkins‘ kurzen Text „The future of Fandom“. Wer mag, kann sich seine Ansichten zur neuen Medienlandschaft aber auch von ihm persönlich erklären lassen: