Das dorama um Gender in der Popkultur

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Abb. 1: Das dorama IS

Erfolgreiche Single-Frauen (Around 40, 2008), Intersexuelle (IS, 2011) und alleinerziehende (Stief-)Väter (Marumo no okite, 2011; Oh my Dad!, 2013) – japanische TV-Serien (terebi dorama) warteten in den letzten Jahren mit vielen alternativen Lebensmodellen auf. Dies macht die japanischen dorama zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand für die Gender-bezogene Medienforschung, die gestern im Mittelpunkt unseres Seminars stand.

Eine wichtige These der Gender Studies ist die Performativität von Geschlecht, d.h. dass jeder Mensch täglich durch sein Tun Geschlecht selbst herstellt. Bestimmte Verhaltensweisen, die sozial als „männlich“ oder „weiblich“ markiert sind, werden aufgegriffen und bestimmen durch ihre ständige Wiederholung die Identität. In der Gesellschaft herrscht das Bild von der Dualität der Geschlechter vor, Menschen werden den Kategorien „weiblich“ und „männlich“ zugeordnet, und wer als biologisch männlich kategorisiert wurde, von dem wird auch eine männliche Identität erwartet – mit allem was nach dem gängigen Verständnis dazugehört, u.a. auch die Heterosexualität. Im Detail nachlesen kann man dies z.B. in dem Werk Einführung in die Gender Studies von Franziska Schößler (2008), das wiederum auf zahlreiche weiterführende Literatur verweist. Die Gender Studies untersuchen, wie Geschlecht als universale Kategorie Kultur und Gesellschaft prägt und kritisieren die „binäre Matrix“, die „Mann“ und „Frau“ als Oppositionen ansieht. Medien und Populärkultur sind dabei ein wichtiger Bereich, in dem Geschlechterkonstruktionen aufscheinen.

Bei der Untersuchung von terebi dorama kann man auf der Ebene des Produktes (also der Serie selbst) nach solchen geschlechtlichen Konstruktionen Ausschau halten: Wo werden Stereotype reproduziert, wo aufgebrochen? Welche verschiedenen Konzepte von Männlichkeit/Weiblichkeit werden präsentiert? Wie wird das Verhältnis von Männlichkeit und Weiblichkeit bzw. verschiedenen Männlichkeits-Typen dargestellt?

Wir haben uns den Anfang der Serie Magerarenai onna („Die unbeugsame Frau“, 2010) angeschaut und mit der Protagonistin Saki eine Figur identifiziert, die nur in geringem Maße „vergeschlechtlicht“ konstruiert wird. Ganz zu Anfang ist sie in einer Besprechung in einem schicken Büro zu sehen. Der Kamera-Blick geht in starker Untersicht durch einen Glastisch und fängt ein, wie Saki unerschrocken eine Fliege totschlägt. Das Bild wechselt in eine Comic-artige Darstellung der Szene in konstrastreichen Farben, und der Titel der Serie wird eingeblendet:

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Abb. 2: Stills aus der Anfangssequenz der Serie Magerarenai onna

Saki wird in der Serie als eine unerschrockene Person dargestellt, die ihrem eigenen (Gerechtigkeits-)Empfinden folgt und wenig darauf gibt, was gesellschaftlich von ihr (als Frau) erwartet wird. Schon in der ersten einführenden Sequenz wird dies durch die Inszenierung der Figur – in Untersicht, mit einem schlichten Äußeren und einem ungekünstelten Verhalten – deutlich. Im weiteren Verlauf wird sie durch ihren Chef mit der gängingen Frauenrolle als Hausfrau und Mutter konfrontiert, was von ihr deutlich abgelehnt wird. Deutlich dekonstruiert die Serie außerdem im weiteren Handlungsverlauf die Hochzeit als „den schönsten Tag im Leben einer Frau“ und stellt alternative Lebensmodelle, auch für Männer, vor.

Ein weiteres spannendes Beispiel ist die Serie IS, die sich mit einer jugendlichen intersexuellen Person auseinandersetzt. Sehr deutlich zeigt dieses dorama, wie z.B. das Schulsystem die Hauptfigur Haru immer wieder dazu zwingt, sich den Verhaltensvorgaben und -erwartungen für ein Geschlecht zu fügen. Thema der Serie ist ein Aufbrechen der Dualität zwischen den Geschlechtern, was auf dem Werbeplakat für die Serie durch ein Vermischen der Farben rosa und blau dargestellt wird (vg. Abb. 1).

Bei der Untersuchung von terebi dorama ist es jedoch immer auch wichtig, die Ebene der Produktion mitzudenken, denn schon hier spielt Gender eine gewichtige Rolle. Für die Sender dienen terebi dorama vor allem dazu, Werbeschienen und Sponsoring-Verträge an zahlungskräftige Firmen zu verkaufen. Der Inhalt der Serien ist daher auf die von den Werbepartnern angesprochenen Zielgruppen angepasst – die häufig auch nach Geschlecht bestimmt sind. Darüber hinaus werden, wie einige Studentinnen im Seminar bemerkten,  die Serien oft um einen bestimmten Star herum konstruiert, dessen Fans mit der Serie angesprochen werden sollen. Serien-Macher/innen richten sich somit häufig an geschlechtsspezifische Zielgruppen und beziehen sich darüber hinaus auf Gender-Diskurse, wie zum Beispiel den Diskurs um den „Pflanzenfresser-Mann“ (sôshoku danshi), der in der Serie Ohitorisama (2009) auftauchte. Es lohnt sich, dieses Produktions- und Diskurs-Umfeld in die Analyse einzubeziehen!

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Abb. 3: Forum zur Serie „Magerarenai onna“

Sehr lohnenswert ist es außerdem, die Rezeption der terebi dorama in den Fokus zu nehmen. Selbst wenn revolutionäre Persönlichkeiten wie die „unbeugsame Frau“ Saki in Serien konstruiert werden, heißt dies schließlich noch nicht, dass diese auch vom Publikum gut angenommen werden. Eine Alternative zu aufwändigen Publikumsbefragungen bieten die offziellen Foren, die auf den Internetseiten zu den Serien angeboten werden (vgl. Abb. 3). Hier finden sich zahlreiche Kommentare von Zuschauer/innen, die mit Alters- und Geschlechtsangaben versehen sind. Es wird von Schauspielerinnen geschwärmt, nach der Garderobe von bestimmten Figuren gefragt, mit der eigenen Lebenssituation abgeglichen und die Entwicklung von Liebesgeschichten kommentiert – und das Woche für Woche, Folge für Folge.

Ein Tipp zum Schluss: Das Buch Gender Media Studies von Margreth Lünenborg und Tanja Maier (2013) stellt verschiedene mögliche Ansätze der Gender-bezogenen Medienforschung vor und bietet auch einige Beispielanalysen, die bei der Konzeption eigener Arbeiten hilfreich sein können.

5 Gedanken zu „Das dorama um Gender in der Popkultur

  1. Es war eine wirklich interessante Seminarstunde, die auch mal wieder klar gemacht hat, dass es für die Allgemeinheit nicht ganz klar ist, sich mit dem Thema Gender bewusst auseinander zu setzen, da es noch in vielen Bereichen Aufklärungs- und Informationsbedarf gibt. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft auf das Konzept von Sex/Gender aufmerksam gemacht wird, und somit allmählich ein Umdenken in die Wege geleitet wird, da in den Köpfen vieler Menschen die Vorstellung, dass es Geschlechter jenseits der absoluten männlich/weiblich Einstufung gibt, noch auf Widerstand stößt.
    Medien, wie zum Beispiel auch das dorama, sind meiner Meinung nach auch ein gutes Medium um beispielhaft und vielleicht auch auf verständliche Weise Gender Normen, Stereotypen und Ähnliches aufzuzeigen und vielleicht auch ein Gegenbeispiel zu leisten, besonders für Menschen, die vielleicht in ihrem Alltag nicht in Kontakt mit der „Performativität“ von Geschlechter(rollen) kommen, oder zumindest nicht bewusst in Kontakt dazu standen.
    Auch wenn die Beispiele die in den Medien präsentiert werden vielleicht nicht alle Randgruppen und erst recht nicht alle der zahlreichen Identitäten innerhalb der unglaublich großen Genderskala repräsentieren können, so ist eben diese Präsenz von Rollen/Charakteren die auch nur ein wenig von der sonstigen Norm abweichen wichtig, um Theorien, die zu Anfang vielleicht schwer zu verstehen sein könnten dem „Laien“ nahe zu bringen. Diese Repräsentanz ist ebenso auch wichtig eben für diejenigen, die nicht der Norm entsprechen (wollen oder können) und können auch als Idol wirken oder Mut geben, sich nicht der Unterdrückung einer Gesellschaft, die Andersartigkeit (in welcher Art auch immer) zu unterdrücken sucht, zu beugen.
    Also, ob nun in dorama oder einer wissenschaftlichen Abhandlung, wie auch immer man sich mit dem Gender Diskurs auseinander setzen möchte, so ist es schon ein großer Schritt nach vorne, wenn man realisiert, dass es gewisse steuernde Systeme in unserer Gesellschaft gibt und vielleicht Ansatzpunkte findet, bei denen man sich selbst fragt, inwiefern gender coding oder stereotype Rollen Einfluss auf das eigene Leben haben. Und wenn man sich erst einmal Gedanken macht, ist das vielleicht bereits der erste Schritt, ein von Normen, Stereotypen und Vorurteilen geprägtes Denken für sich selbst zu überwinden.

  2. Vielen Dank für Ihren schönen Kommentar! Ja, es erfordert schon ein großes Umdenken, von üblichen Kategorisierungen wegzukommen – das sieht man ständig im Alltag und auch in der Medienberichterstattung zu Gender-Themen (und den Reaktionen darauf).

    Dorama haben wirklich teilweise einen ganz guten Weg eingeschlagen und zeigen teilweise erstaunlich alternative Identitätskonzepte, die nicht mehr auf Gender basieren. Allerdings sind diese dorama eben auch nur einige wenige in einem großen Pool an Serien, die im japanischen Fernsehen laufen. Gerade in letzter Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Themen teilweise wieder in konservativere Gefilde abdriften. Ein Beispiel ist für mich die Serie „Hirugao“ aus diesem Sommer, in der sehr konservative Geschlechterrollen-Bilder präsentiert wurden und das Konzept „Hausfrau“ völlig unhinterfragt als normaler Lebensalltag einer Frau präsentiert wurde. Parallel zu Serien, die die Einteilung von Menschen in Männer und Frauen überhaupt in Frage stellen, gibt es also leider auch weiterhin so etwas …

  3. Zusätzlich zu den hier empfohlenen Büchern kann ich auch die umfangreiche Aufsatzsammlung „The Gender and Media Reader“ (Mary Celeste Kearney (Hg.), 2012) aus der ULB empfehlen. Dort finden sich viele wichtige Aufsätze, u.a. von Butler und Mulvey zum Nachlesen aber auch eine große Vielfalt von neueren Aufsätzen, die sich mit vielen verschiedenen Facetten von Gender und Medienkultur befassen. Das Buch ist über 700 Seiten stark!

  4. Ich nehme an, dass man bezüglich der Gnderforschung nicht nur dorama als Fallbeispiele analysieren kann. Auf was müsste man achten, wenn man Anime oder Manga als Beispiele heranzieht?

    1. Genau, selbstverständlich kann man so ziemlich alles aus der Gender-Perspektive betrachten, auch Anime und Manga. Hier gilt ebenfalls, dass man die Ebene des Produkts, der Produktion und der Rezeption betrachten kann. Falls Sie einen Anime- oder Manga-Text heranziehen, wird es wohl meist darum gehen, die Konstruktion von Geschlecht im entsprechenden Werk zu untersuchen (zumindest haben sich bisherige Hausarbeiten meist dieser Ebene gewidmet). Das genaue Konzept für derartige Untersuchungen muss natürlich aber im Einzelfall erarbeitet werden.

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