
Ein 14-jähriger Schüler erhängt sich, eine andere Schülerin springt aus dem achten Stockwerk in den Tod. Das sind nur zwei Beispiele von Vorfällen, welche sich in der jüngeren Vergangenheit in Japan ereignet haben. Aber was sind die Gründe für diese dramatischen Suizide?
Die Selbstmordrate Jugendlicher stellt schon seit langem in Japan ein Problem dar. Auch wenn die Quote in den letzten Jahren zurückgegangen ist, so sehen Jugendliche immer noch oft keinen anderen Ausweg mehr als sich das Leben zu nehmen.
Einer der häufigsten Gründe liegt darin, dass Schüler Opfer von Schikanen der Mitschüler werden. In Japan ist das Wort für Schikanen Ijime (jap. 虐め). Drangsalieren von Mitschülern auf den Schulfluren oder zwischen den Stunden im Klassenraum gehört zur Tagesordnung.
So ist im oben genannten Fall des 14-jährigen Schülers von einem Klassenkameraden auf 500 Yen erpresst worden. Dabei hatte sich der mutmaßliche Täter nicht einmal etwas von seinem Opfer geborgt. Als der 14-Jährige die unbegründete Geldübergabe verweigerte, forderte der Erpresser anschließend eine Summe von 20.000 Yen (umgerechnet ca. 132 Euro). In seiner Verzweiflung wandte sich der Schüler an einen Lehrer. Der Pädagoge gab zwar an mit dem Erpresser reden zu wollen, doch dazu kam es nicht mehr. Man fand den 14-jährigen Jungen zu Hause, erhängt in einer Abstellkammer.
Ein weiteres Opfer infolge von Ijime stürzte sich aus dem 8. Stockwerk eines Hochhauses. Das 12-jährige Mädchen nahm sich das Leben, weil sie wegen ihrer geringen Körpergröße gehänselt wurde. Zuvor schrieb sie in einem Abschiedsbrief: „Ich nehme mir das Leben. Tschüss.“ (Quelle: Spiegel)
Der stetig anwachsende Leistungsdruck ist neben dem Mobbing eine weitere Hauptursache für die hohe Selbstmordrate in Japan. Der immense Leistungsdruck wird von den Lehrern und Eltern aufgebaut und kann sich ebenfalls auf das Mobbing auswirken. Vor allem die Schüler, die den hohen Erwartungen nicht standhalten können, neigen dazu ihren Frust an ihren Mitschülern auszulassen. Statistiken zeigen, dass insbesondere vor und während der Prüfungsphase das Mobbingpotenzial am höchsten ist.
Dabei treten die Täter meist nicht alleine sondern in Gruppen auf und suchen sich charakterlich schwache Schüler oder gar Neulinge aus, welche sie dann ausgrenzen und drangsalieren. Die Schikanen reichen von verbaler Gewalt, über Sachbeschädigung, bis hin zur physischen Gewalt. Es werden beispielsweise Tische und Schulmaterialien beschmiert und privates Eigentum in den Müll oder in die Toilette geworfen. Außerdem kann es zu starken körperlichen Verletzungen kommen, durch das Einprügeln der Gruppen auf ein einzelnes Opfer.

Warum aber greifen viele Jugendliche zu einem solch drastischen und brutalen Ende wie dem Selbstmord?
Die Schüler fühlen sich alleine gelassen und finden oft keinen anderen Ausweg.
Der sowohl von den Eltern als auch von der Schule vorgegebene Leistungsdruck, sowie die daraus resultierende Schikane, bewegen die Schüler immer wieder zum Suizid. Zudem zielt das japanische Gesellschaftsbild nicht darauf ab, die eigene Individualität zu fördern, sondern eine elitäre Auslese herauszubilden. Die mangelnde Unterstützung und fehlende Empathie der Pädagogen und Eltern tragen verstärkt zu dieser sozialdarwinistischen Ansicht bei.
Die Politik ist sich dieses unrühmlichen Phänomens bewusst und auch im Fernsehen wird die angeführte Problematik zunehmend behandelt. Das bekannte japanische Drama LIFE (ライフ) ist nur ein Beispiel für die anwachsende mediale Thematisierung des Suizids infolge mangelnden Schulerfolgs und Mobbings. Im ersten Teil dieser Serie wird zum Beispiel gezeigt, wie ein Mädchen unter dem Leistungsdruck zusammenbricht und Selbstmord begeht. Im weiteren Verlauf des Dramas wird außerdem vermehrt auf das Thema Mobbing eingegangen.
Um dem Mobbing und dem Leistungsdruck entgegenzuwirken muss man etwas an dem gesellschaftlichen Grundgedanken ändern. Dabei sollte das Individuum insbesondere von den Eltern und Lehrern sofortige Unterstützung erhalten – vor allem in sozial-emotionaler Hinsicht. Gerade wenn ein Schüler die Eltern und Lehrer um Rat bittet, ist das bereits ein Zeichen höchster Alarmbereitschaft. Entsprechend sollten die Erzieher umgehend reagieren und nach einer gemeinsamen Lösung suchen, notfalls auch unter der Hinzunahme von professioneller Unterstützung (z.B. Psychologen). Eins sollte den Schülern aber stets bewusst gemacht werden: Selbstmord ist nicht nur nicht der einzige Ausweg aus dieser Misere, sondern auch der falsche.
Vielen Dank für den Artikel! Sie haben eine flotte Schreibweise und können Ihr Thema interessant aufbereiten.
Zu Ihrem Beitrag würde ich mir allerdings noch Quellen wünschen – woher haben Sie die Geschichten über die erwähnten Jugendlichen (wann und wo ist das passiert?), wie sieht die Selbstmordrate tatsächlich aus, und ist sie wirklich so viel höher als in anderen Ländern?
So ganz ohne Belege könnte man Ihnen auch vorwerfen, dass Sie hier eher ein Klischee aufgreifen. Ich frage mal provokant: Vielleicht handelt es sich ja auch um ein Phänomen, das teilweise von den Medien konstruiert wird (auch mit TV-Serien wie „Life“)?
Zu den Bildern müssten Sie auch eine Quellenangabe machen (aus der Serie?), bzw. falls sie nicht gemeinfrei sind auf den Bildinhalt eingehen, damit Sie keinen Copyrightverstoß begehen. Das Video habe ich aus den selben Gründen entfernt, ich denke wer sich dafür interessiert wird es schon finden 😉
Ich habe die Bilder mal ersetzt, da wir keine Rechte dafür haben (Reuters ist besonders heikel). Bei Flickr zum Beispiel finden Sie, wenn Sie nach Bildern mit „Creative Commons“-Lizenz suchen, viele tolle Fotos, mit denen man solche Artikel bebildern kann.
Ich habe in diesem Artikel zum ersten mal von solch dramatischen Ereignissen in Japan gehört, dennoch bin ich darüber nicht schockiert, da ich mir ein solches Verhalten der Schüler in Bezug zu dem immensen Leistungsdruck schon vorstellen konnte. Da ich auch schon vom Hikikumori Phänomen gelesen und gehört habe, frage ich mich nun ob die mit den Suizieden evtl. in zusammenhang stehen könnte, da das Besagte Phänomen ja auch bei Menschen auftritt (hauptsächlich in der japanischen Gesellschaft) die sich ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht gewachsen fühlen.
Ich denke es ist wichtig, dieses Thema etwas differenzierter zu betrachten. In den Medien wird immer viel über die hohe Selbstmordrate in Japan geschrieben, wie auch im oben erwähnten Spiegel-Artikel. Aber handelt es sich dabei wirklich vor allem Jugendliche, die durch das Schulsystem in den Selbstmord getrieben werden? Man kann das leicht nachprüfen, da die WHO hierzu detaillierte Daten zur Verfügung stellt. Die Statistik zeigt zum Beispiel für das Jahr 2011, dass von 19908 männlichen Selbstmördern in Japan 52 zwischen 5 und 14 Jahren alt waren sowie 1304 zwischen 15 und 24 Jahren. In den höheren Altersgruppen ist die Zahl der Selbstmorde wesentlich höher. Ähnlich sieht es bei den Frauen aus: Von insgesamt 8997 Selbstmorden wurden 22 von Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahre begangen und 616 von solchen im Alter von 15 bis 24 Jahren. Richtig stark steigt die Anzahl bei Frauen und Männern ab 35 Jahren an.
Detailliert recherchieren kann man dazu in der WHO Mortality Database: http://www.who.int/healthinfo/mortality_data/en/
Dort kann man auch leicht mit anderen Ländern vergleichen.
Mein vorläufiges Fazit nach einer kurzen Betrachtung der Statistik: Auffälliger als Selbstmorde unter Jugendlichen ist die hohe Selbstmordrate bei Männern.
Ijime und Leistungsdruck in der Schule sind trotzdem ein Thema, das in den Medien viel thematisiert wird – und schon deshalb interessant für die Populärkulturforschung.
Der Hauptgrund von Leistungsdruck und Mobbing ist meiner Meinung nach, wie du schon in deinem Artikel erwähnt hast, die mangelnde Individualität der Japaner. Nach dem japanischen Bildungssystem in der Schule gilt nämlich fast überall der gleiche Lehrplan, und da es in den meisten Fällen keinen zweiten Bildungsweg gibt, findet dann eine starke Homogenisierung der Lebenswege der Japaner statt, d.h. jeder Japaner hat bzw. sollte den gleichen Lebenslauf haben. Sobald man aber aus welchem Grund auch immer an dem Bildungssystem nicht mithalten kann, entsteht halt dieser Leistungsdruck oder Mobbing und das führt eben in vielen Fällen zum Selbstmord. Ich glaube die Selbstmordrate in Japan würde deutlich sinken, wenn die Japaner ihre Einstellung zur Gakureki Shakai ändern würden, und dafür die Schüler und Studenten mehr Alternativen für ihre Schullaufbahn hätten, wie z.B. eine Ausbildung nach der Schule. Das würde auf jeden Fall ihre Individualität mehr fördern, als wenn alle nach einem Plan leben.
Vielen Dank für deinen umfangreichen Kommentar!
Ich bin auch der Meinung, dass die Individualität gefördert werden sollte und finde dein Beispel mit Gakureki Shakai sehr gut.
Allerdings denke ich, dass die Umsetzung schwer zu bewerkstelligen ist, da es ein grundlegendes Umdenken in der japanischen Gesellschaft voraussetzen würde.
Dennoch finde ich deinen Ansatz erstrebenswert.
,,Eins sollte den Schülern aber stets bewusst gemacht werden: Selbstmord ist nicht nur der einzige Ausweg aus dieser Misere, sondern auch der falsche.“
Richtig: Selbstmord ist nicht nur NICHT der einzige Ausweg aus dieser Misere, sondern auch der falsche.
Danke für den sehr wichtigen Hinweis!!