„HOMESTUCK IS MY FAVORITE ANIME“

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Andrew Hussie Flickr cc, Jeffrey Rowland

„Homestuck?!“, ein irritiertes Raunen geht durch die Menge. „Was hat dieser skurrile Webcomic denn mit Japan zu tun?“ Auf den ersten Blick nicht unbedingt viel, aber haltet ein: In Bezug auf die japanische Populärkulturtheorie bietet Homestuck ein gefundenes Fressen.

Zu der Frage „Was ist Homestuck überhaupt?“ kann man eigentlich fast nur mit der Gegenfrage antworten: „Was ist Homestuck eigentlich nicht?“. Bei dem interaktiven Webcomic von dem amerikanischen Allroundtalent Andrew Hussie handelt es sich um eine komplexe Geschichte, die sich mittlerweile über 9000 Seiten streckt. Zu finden ist das Ganze auf der Seite mspaintadventures.com, auf der Hussie bereits drei weitere Comics in ähnlicher Manier veröffentlichte – seinen Durchbruch hatte er jedoch erst mit Homestuck, das 2009 seinen Anfang nahm.

In diesem Artikel wird nach einer kurzen Erläuterung, was Homestuck so einzigartig macht, gezeigt, dass man auch als westlicher Autor aufgrund von einer kunterbunten Database bei sonst hauptsächlich Anime konsumierenden Zielgruppen gewaltige Aufmerksamkeit erlangen kann.

Anstatt die Story althergebracht mit nur einem Medium wiederzugeben entscheidet sich Hussie für die innovative Variante, abwechselnd Videospielsequenzen und Flashanimationen mit gewöhnlichen Comicelementen zu verbinden. Unverwechselbar sind hierbei auch die 8bit-inspirierte Musikbegleitung und die Erzählweise, die zum einen die Dialoge der Charaktere in Chatform aufführt, als auch „Game“-authentisch dem implizierten Leser in der zweiten Person Befehle erteilt.

Trotz seiner Vielschichtigkeit lässt sich die Geschichte inhaltlich knapp zusammenfassen. Ein Junge namens John Egbert beginnt an seinem Geburtstag mit seinen drei Freunden ein Spiel, das letztendlich zur Zerstörung der Welt beiträgt. Aufgabe ihrer ist es nun, ein neues Universum zu schaffen. Begleitet werden die Kids von den 12 sogenannten „Trolls“ (als Hommage an Internet-Trolls), welche die Sternzeichen verkörpern und mitunter zu dem exorbitanten Erfolg der Materie beitrugen. Während die ersten Akte eher schlicht in schwarz-weiß gehalten waren, gewann der Comic zunehmend an Farbe und Details, aber auch an Lesern.

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(Anm. zum Bild: Rechts sind übrigens keine Trolls, sondern „Sprites“ abgebildet, aber auch diese fallen auf!)

Ganz gemäß Azuma Hirokis Theorie war es vor allem das ansprechend-bunte, anime-ähnliche Design der Trolls, das zu Homestucks rasender Beliebtheit führte. Bedeutsam wurden diese nämlich erst ab dem mittleren Teil der Geschichte, dem fünften Akt. Daher der Vorwurf vieler alteingesessener MSpaintadventures-Fans an die jüngere Fangemeinde, ein Großteil des Fandoms habe die ersten Akte übersprungen (und dabei gravierend wichtige Plotelemente unter den Tisch gekehrt), um zu den Trolls zu gelangen.

Die Zielgruppe wandelte sich, so Hussie in einem Interview, von Lesern in den Dreißigern zu einem deutlich jüngeren Publikum. Es fällt dabei sogar der Begriff „teen anime girls“ – und obwohl Andrew Hussie selbst nie einen Draht zu Anime und Manga hatte, landete er genau bei diesen Fans einen Volltreffer!

And groups of that size have been the trend in anime cons ever since. It was some weird critical mass of cosplay that took place at that con and it never looked back. The Homestuck cosplayers at anime cons seem to routinely outnumber all the other types of cosplay combined, and as the people who don’t like it often lament, Homestuck isn’t even an anime. (‘Scott Pilgrim’ Guy Interviews ‘Homestuck’ Guy: Bryan Lee O’Malley On Andrew Hussie, , aufgerufen am 09.11.2014)

 Diese Entwicklung nahm auch einen direkten Einfluss auf die Popkulturreferenzen innerhalb der Geschichte. Während 2009-2011 zunächst 80er-90er Filme wie Ghost Busters, Con Air oder Armageddon Erwähnung fanden, nahmen in den Folgejahren 2011-2014 an Anime-angelehnte Begriffe und Thematik die Überhand. Denn wie jedem guten Produzenten entging auch Hussie der Umschwung nicht, sodass er versuchte, diesen gezielt auszulegen.

Hussie schwimmt mit dem Strom der Zeit, bringt chara-spezifisches Merchandise heraus, so wie z.B. Figuren, Kalender, Plüschpuppen oder Anhänger. Die Abbildungen auf den Kalendern jedoch wurden von Fans gezeichnet und sind meist im Anime-Stil gehalten, während der eigentliche Comic in seinem Grundprinzip darauf verzichtet („Grundprinzip“ an der Stelle, weil auch im Canon ab und zu Anime-stilistische Zeichnungen auftauchen, die aber auch stets von Gastzeichnern gezeichnet worden sind.). Man merke an: Homestuck hat inzwischen sogar eine erfolgreiche Umsetzung in einer Dating Sim („Namco High“, produziert von Bandai) gefunden!

Homestuck zeichnet sich durch seine besonders starken, auffallenden Charaktere aus, sodass ich im Folgenden auf die für uns relevanten (im Hinblick auf japanische Populärkultur) genauer eingehen werde. Wir erinnern uns außerdem an die Theorie, dass „moe“-Charaktere für sich selbst wirken und unabhängig von einer Story konsumiert werden können. Oft höre ich die Worte „Ich habe Homestuck wegen Charakter XY angefangen – der sah so interessant aus!“

 Beispielsweise wäre da „Bro“ (ja, das ist sein Name) aus Akt 2, dessen Äußeres vermutlich als Scherz begann und im fünften Akt in „Dirk Strider“, Bro’s alternativem Ich, gipfelte.     (Es sei angemerkt dass Hussie mit vielen Paralleluniversen arbeitet, die hier eventuell für Verwirrung sorgen könnten – versucht das einfach weitgehend zu übersehen, es trägt in diesem Fall nichts zur Aussage bei, da wir nun die Story außer Acht lassen und uns auf die   „キャラクターs“ konzentrieren!) In seinem Gesicht pranken „Shitty Anime Shades“ (Originalton im Werk), die an Kamina aus Tengen Toppa Gurren Lagann erinnern. Er kämpft mit einem Katana, an seinen Händen trägt er an die Otaku-Kultur erinnernde fingerlose Handschuhe. Er ist schlicht und ergreifend cool – und darauf springt die Masse an. Seine zweite Version, Dirk Strider, wird folgendermaßen eingeführt:

 You retrieve your UNBREAKABLE KATANA. A real hard sword for a real hard dude. It was said to be forged by an ancient Otaku Master over the heat of a roaring manga fire. It was cooled in an enchanted spring where virgin horses nicker and bathe, and was said could be used only by one whose pointy anime shades were deemed sweet enough, and whose hair existed in a perpetually sculpted state of looking completely fucking awesome. All of those things were said by you. (Dirk: Go get your sword. Aufgerufen am 09.11.2014)

 Und eben jener Dirk zeichnet auch Fanart über seine Freundin Roxy Lalonde. Auf diesen Zeichnung nennt er sie „Rolal-chan“ und lässt sie anime-stilistisch erröten und schwitzen (mit dem bekannten „Drop“ an der Stirn). Auch seine spätere Kampftechnik erinnert an das Kamehameha aus Dragonball.

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 Das eigentlich interessante daran ist, dass Hussie selbst keine Affinität gegenüber Anime hegt und offen zugibt, wenig darüber zu wissen. All diese Referenzen werden mit einem gewissen Funken an Selbst-Ironie veröffentlicht. Wie wenig Ahnung er tatsächlich von der Materie hat, die er zitiert, wird z.B. klar als Charakter John seine Verwandlung auf ein höheres Level, bei der sich auch seine Kleidung ändert, mit dem Anime Sailor Moon vergleicht. Er sagt „…it’s like we’re a super hero team, or some kind of anime squad. like the sailor moons (sic.), i guess, but not as lame, or as sexy.” An sich ist die Aussage einleuchtend, aber genauer genommen falsch, da es keine Mehrzahl von Sailor Moon gibt – der richtige Terminus wäre Sailor Kriegerinnen, oder eben Sailor Senshi. Diese Kritik ist natürlich sehr penibel, dessen bin ich mir bewusst. Obwohl er es teilweise schon bis zur Lächerlichkeit auf die Spitze treibt, nehmen ihm dies die Fans meist nicht krumm. Sie genießen die Ähnlichkeiten und verarbeiten sie kreativ in Fanworks.

Hier ein paar Beispiele weiterer Extreme:

Charakter Meulin Leijon, die einem Catgirl ähnelt, benutzt in ihren Dialogen massiv sogenannte „Japanese Emoticons“, wie (=˙•˙=) (=`ω´=) (^•ω•^) diese hier. Charaktere Rufioh Nitram und Horuss Zahhak, zwei männliche Trolls, führen laut Aussage dritter „Yaoi Festivals“ miteinander. Zusammen leiten sie einen Anime Club. Ein weiteres Mitglied der Partie ist Damara Megido, die als einzige im gesamten Comic nicht Englisch, sondern gebrochenes Japanisch spricht. Aber Vorsicht, denn all ihre Aussagen sind per Google Translate vom Englischen ins Japanische übersetzt worden und sind somit völlig fälschlich. Des Weiteren sei gesagt, dass ihre Dialoge stets unangebracht sexuellen Inhalt enthalten, sie wirkt generell obszön und unnahbar.

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Antagonist Caliborn, ein wütendes Monster der Rasse Cherub, macht Gebrauch von dem Mangazeichenlernbuch „How to draw Manga“ und zeichnet, während er nebenbei den Helden das Leben schwer macht, Fanart. So bezeichnet er sich selbst als „yaoi-est motherfucker who ever lived“ und „surpreme doujinshi mangaka“ und andere Charakter als „blushing bishonen dream boat“ und „moe bros“.

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Hussies Werk überschlägt sich förmlich vor diesen Begriffen und er weiß, dass sie für Furore unter den Fans sorgen. Obwohl er nur verschwindend geringe Ahnung von Japan hat, scheint Hussie die Vermarktung dieser „Kultur“ jedoch schnell begriffen zu haben. Warum Homestuck so gut funktioniert liegt vermutlich an der Mischung aus einem ganz eigenen Format und diesen „Hints“ zur Animegemeinde. Die Fans fühlen sich angesprochen und bestätigt in ihrem Vokabular – und binden sich somit noch mehr an den Webcomic.

3 Gedanken zu „„HOMESTUCK IS MY FAVORITE ANIME“

  1. Vielen Dank für den Artikel! Sie scheinen ja eine richtige Homestuck-Kennerin zu sein 😉 Ihr Beitrag ist flüssig geschrieben und Sie geben einen guten Überblick über den Einfluss japanischer Populärkultur auf Homestuck. Interessant ist auch, wie stark Homestuck Fan-Produktion einbezieht, insbesondere dass sogar Merchandise verkauft wird, das aus Fan-Gestaltung produziert wurde! Da könnte man dem Autor ja auch ein Ausnutzen der Fans vorwerfen, oder wie wird das in Fankreisen gesehen?

  2. Vielen Dank für die Anmerkung! Nun, da scheiden sich die Geister in Fankreisen. Viele meiner „Homestuck“-Freunde empfingen genau dieses Verhalten als Ausnutzen, andere – sowie die große Allgemeinheit – betrachten es als interaktiv, innovativ und fühlen sich vermutlich genau deswegen so zu dem Webcomic hingezogen.

    Das „Dabei-Sein“ oder die bestehende Mögichkeit „Vielleicht-mal-dabei-zu-sein“ strahlen einen besonderen Reiz aus, sodass Finanzielles eher in den Hintergrund gerät.
    Ich denke jedoch schon, dass die Fanartists, deren Bilder verkauft werden, dementsprechend bezahlt werden. Vieles läuft jedoch nicht über die Merchandise-Portale, sondern findet innerhalb des Comics statt. Man kann also selbst zu einer kleinen, Fandom-internen Berühmtheit werden, wenn man von dem Autor „gefeatured“ wurde.
    Es bleibt also ambivalent.

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