
„Asiaten covern und kopieren doch alles!“ so oder so ähnlich hört man es immer wieder wenn es um die Beurteilung von Musik aus dem Ostasiatischen Bereich, insbesondere Japan, Korea, Taiwan oder Hong Kong geht. Ob Asiaten die im Business-Anzug in zweitklassigen Karaokebars mit quäkiger Stimme verzweifelt versuchen Westliche Klassiker nachzusingen, Instrumentalisten die mit übernatürlichen Kräften ausgerüstet und ohne jegliche Anzeichen von Anstrengung ganze Soundtracks alleine nachspielen, oder aber Interpreten die in der jeweiligen Landessprache versuchen bekannte Hits für den eigenen Markt zu finden; all diese Bildnisse tragen zur Bildung eines allumfassenden Ostasiatischen Musikklischees bei.
Wer sich schon einmal genauer mit den Musikszenen der oben genannten Länder auseinandergesetzt hat, wird sicherlich festgestellt haben, dass manche Bestandteile des Klischees einen gewissen Grad Wahrheit in sich tragen, andere wiederum lediglich einen Versuch darstellen die Welt in Kategorien einzuteilen. Das viele bekannte Stars aus der Westlichen Welt auch oft zu Beginn ihrer Karrieren gecovert haben, wird dabei oft übersehen.
Die immer größere Einflussnahme Westlicher Musik in Ostasien – in Japan beispielsweise vorallem nach der Amerikanischen Besetzung nach 1945, führte zu einer wahren Epidemie von Coversongs. Neben Traditioneller Japanischer Musik eröffnete sich nun auch für Westliche Musik ein immer größerer Markt. Sakamoto Kyû welcher für den Song „Ue Wo Muite Arukou“ (dt. Lasst uns mit nach oben gewandtem Gesicht weitergehen) bekannt ist, veröffentlichte z.B. 1972 ein reines Elvis Cover-Album, welches teils auf Japanisch teils auf Englisch versuchte die Songs des King of Rock’N’Rolls wiederzubeleben. Nach dem Prinzip dass man an Songs die sich bereits einmal als erfolgreich herausgestellt haben festhalten soll, ist zu erkennen dass vorallem Hits gecovert werden.
Beim durchstöbern der Hitlisten Hong Kongs aus den 1980er Jahren wird wohl so mancher Japaner denken „Hey! Die Songs kenn ich doch!“. Dies ist darauf zurückzuführen dass ein Großteil der Songs die in Hong Kong Hits wurden, Coverversionen von Japanischen Originalen sind. Im Juli 1984 veröffentlichte Alan Tam, ein berühmter Sänger aus Hong Kong, eine Coverversion des Japanischen Songs „Wain Reddo No Kokoro“ (dt. Herz aus Rotwein) der Band Anzen Chitai (dt. Sicherheitszone). Obwohl zwischen der Veröffentlichung des Originals und der Coverversion nur 3 Monate lagen, reichte es auch in Hong Kong für einen Hit und bescherte Tam mehrere Music Awards.
Beispiel: Wain Reddo No Kokoro
Anzen Chitai (Original) [Live Version]
http://www.youtube.com/watch?v=fqxCWkfahj8
Alan Tam (Cover) [Live Version]
Park Yong-Ha (Cover) [Live Version]
Der Austausch und das gegenseitige Covern von Songs hat vermutlich auch seinen Ursprung durch die immer größer werdenen Möglichkeiten der Globalisierung, der Vernetzung der Welt. Viele Interpreten kennen sich untereinander durch ihre Plattenfirmen und haben auch schon kollaboriert. Oft verbirgt sich Hochachtung und Respekt für den Künstler des Original Songs hinter der Idee des Coverns. Die einen covern sich selbst, die anderen lassen sich covern. Anzen Chitai war beispielsweise in den 1980ern Backup Band des Japanischen Singer-Songwriters Inoue Yosui. Dieser schrieb gemeinsam mit Tamaki Kôji „Wain Reddo No Kokoro„, welcher von letzteren dann mit Anzen Chitai, losgelöst von Inoue Yosui, zum Erfolg gebracht wurde.
Doch nicht nur einzelne Songs werden oft bis zur Perfektion imitiert und für die landeseigene Gesellschaft neu aufbereitet, nein, auch Stile werden kopiert und erfolgreich vermarktet. Die 2004 gegründete vierköpfige Japanische Band The Bawdies erinnert z.B. stark in ihrer Erscheinung an die Beatles, während ihr Sound eher als Mischung aus Rock’N’Roll, Pop und RnB gesehen werden kann. Das Album This Is My Story, veröffentlicht im April 2009, landete bereits kurze Zeit nach Erscheinen auf Platz 1 der iTunes Store Rock Charts und Platz 4 der J-Pop Album Charts. Mit regelmäßigen TV Auftritten, Konzert-Tourneen sowie jährlich erscheinenden Alben fördern The Bawdies Englischsprachige Rock Musik in Japan. Musik aus Japan für Japan. Das man sich jedoch nicht nur ausschließlich auf den Erfolg eigener Werke verlassen will, zeigt der Anteil an Coversongs bei den Alben und Singles. Am 30. April 2011 erschien beispielsweise die Single „LOVE YOU NEED YOU feat. AI“ mit einer Coverversion von Ray Charles „Hit The Road Jack“:
Hit The Road Jack
The Bawdies feat. AI (Cover)
Die Frage ob z.B. Japanische Rock Musik, welche stark vom Rock aus den USA und Großbritannien geprägt worden ist, als Teil der Japanischen Populärkultur oder einer Unterkategorie des Westlichen Musikgenres innerhalb Japans anzusehen ist, bleibt jedermann selbst überlassen. Genauso wie die Definition von „Populärkultur“ von Person zu Person unterschiedlich sein kann, lässt sich dieser Prozess der Vermischung verschiedener Musikkulturen nicht durch universelle Begrifflichkeiten festlegen. Festzuhalten ist nur, dass sowohl in Japan als auch überall anders auf der Welt Coversongs die Musikindustrie beleben und die Musik der Zeit stark beeinflussen.
Zu guter Letzt noch Japanische Musik die von Japanern in Japan gecovert wurde. Während es im Enka als traditioneller Volkssport angesehen werden kann Songs von anderen Enka Interpreten zu covern, so ist es bei anderen Genres, vorallem J-Pop und J-Rock noch ein Nischenmarkt. Tokunaga Hideaki hat eine ganze Reihe Cover-Alben mit den Titel „Vocalist“ (mittlerweile 5 Stück) veröffentlicht. Bei den meisten der Songs handelt es sich um zeitlose Japanische Klassiker, insbesondere Songs die im Original von Frauen gesungen worden sind: „Love Love Love“ (von Dreams Come True), „Tsubasa Wo Kudasai“ (von Yamamoto Junko) oder „Ningyou No Ie“ (von Hirota Mieko).
Falls ihr gute Beispiele für Coversongs aus Japan oder Japanischen Cover-Versionen von Westlichen Klassikern kennt, könnt ihr diese gerne in den Kommentaren teilen. Ein zweiter Artikel zum Thema Coversongs ist bereits in Planung.
Vielen Dank für den sehr reichhaltigen Artikel! Sie scheinen sich ja bestens in der japanischen Musikszene auszukennen – was ich von mir selbst nicht behaupten kann. Bisher wusste ich nur, dass es in Tokyo zwei vorzügliche Beatles-Coverbands gibt 😉 Ihre Beispiele sind auf jeden Fall sehr spannend, und wenn man sich auf einen bestimmten Bereich konzentriert, kann man darüber sicher auch gut eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Lediglich die Kommaregeln sollten Sie sich noch einmal anschauen, da sind Sie noch etwas sparsam.
Als Literatur zum Thema bieten sich denke ich an: „Japanese Popular Music“ von Carolyn Stevens, „Play it Again: Cover Songs in Popular Music“ (darin Aufsatz von Yang), Die Arbeit zu HipHop in Japan von Ian Condry, „Global Culture/Individual Identity“ von Gordon Mathews und „Blue Nippon“ von Atkins (beides Jazz).
Und ich würde ganz klar sagen: Ja, was Sie beschreiben ist japanische Populärkultur 🙂