
Wir alle beschäftigen uns hier mit Populärkultur, im besten Fall mit japanischer Populärkultur. Dass dies nicht unbedingt mit der japanischen Popkultur in Japan selbst übereinstimmen muss, wurde bereits im Seminar erwähnt (siehe auch in diesem vorherigen Beitrag). Es geht eben auch um diese Phänomene, die zwar in Japan ihren Ursprung haben, außerhalb jedoch größeren Anklang fanden und den Übergang von japanischer zur globaler Popkultur geschafft haben.
Im Seminar wurde ebenso angesprochen, dass mit dem allgemeinem Begriff „Populärkultur“ mittlerweile vieles mit der vermeintlich japanischen Popkultur verbunden wird. War früher Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein internationales Vorbild und Vorreiter, scheint es mittlerweile einen Wandel gegeben zu haben. Japan ist mit der Zeit bunter, schriller und auffallender geworden: Cool Japan.
Zur Popkultur gehört auch Popmusik. Gerade westliche Künstler haben mit der Zeit nicht nur ihre Bewunderung zur der japanischen (Pop)Kultur zum Ausdruck gebracht, nein, es wurde sich auch an vielen Stereotypen und Klischees vergriffen. Japan ist hip, Japan verkauft sich. Doch stimmt das?
Im Jahr 1999 brachte Produzent Chris Brann mit seinem Wamdue Project den Stein ins Rollen. Der Videoclip zu seinem Remix von „King of my Castle“, ursprünglich aus dem Jahr 1997, bestand komplett aus Szenen des Animes „Ghost in the Shell“ von 1995. Eine Huldigung an den Anime-Meilenstein.
Das erfolgreiche Duo Daft Punk ging noch weiter: es ließ einen ganzen Anime zum Konzeptalbum „Discovery“ (2001) produzieren, eine Visualisierung der Platte, die unter dem Namen „Interstella 5555: The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem“ im Jahr 2003 veröffentlicht wurde. Die veröffentlichten Musikclips bestanden ebenso aus Szenen des Animes.
Der amerikanische Hip-Hop-Künstler Kanye West, selbst bekennender Japan- und Anime-Fan, veröffentlichte 2007 mit dem Musikvideo zu „Stronger“ eine Hommage an einen der wohl bekanntesten Animes: Akira (1988). Einige Szenen des Videos sind dem Anime eins zu eins nachempfunden und wurden vom Künstler nachgestellt. Kanye selbst war mit dem Endergebnis zu Beginn nicht zufrieden, er investierte erneut Zeit und Geld, um am Ende ein Video abzuliefern auf das er Stolz sein konnte. Letztendlich wurde es im Rahmen der MTV Video Music Awards in der Kategorie des besten Musikvideos des Jahres nominiert (übrigens wirkten auch hier Daft Punk mit, die nicht nur ein Sample aus „Harder, Better, Faster, Stronger“ stellten, sondern auch im Video zu sehen sind).
Fraglicher wird es, wenn es nur noch um Klischees geht. Wenn japanische Stereotypen eine Art Accessoire geworden sind, so wie bei Gwen Stefani und ihren „Harajuku Girls“. Angeheuert wurden sie 2004, um im Rahmen von Stefanis zweitem Soloalbum „Harajuku Lovers“ als Background Tänzerinnen zu fungieren. Ausgestattet waren die Tänzerinnen immer mit einer abgewandelten Art japanischer Schuluniformen, nur freizügiger, abgefahrener, überspitzter. Die Mädchen fanden nicht nur in den Musikvideos Auftritte, sondern wurden mit auf die roten Teppiche dieser Welt genommen. Viel Kritik erntete dieses… ja, was war es eigentlich? Werbung? Konzept? Zusammenarbeit?

Nie wurden die Tänzerinnen als gleichwertige Künstlerinnen vorgestellt. Entertainerin Margaret Cho, selbst asiatisch-amerikanischer Abstammung, empörte sich in einem Blogeintrag über die Darstellung des negativen Stereotyps. Die Redakteurin Mihi Ahn vergleicht in ihrem Artikel das Konzept der „Harajuku Girls“ mit einer modernen Version der Geisha.
Auch wenn dieses „Projekt“ schon für viel Aufruhr sorgte, setzte die kanadische Popsängerin Avril Lavigne mit ihrem Musikvideo zu „Hello Kitty“ 2014 noch einen drauf. Es hagelte massig an Kritik, doch warum? Das Video ist ein einziges Klischee, während Lavigne selbst dem Zuschauer „k-k-kawaii“ entgegenruft.
Avril Lavigne bekam von allen Seiten Rassismus-Vorwürfe zu hören. Selbst der Spiegel berichtete. Nach Gwen Stefanis gescheitertem Versuch, japanische Mode und westliche Popmusik zu vereinen, ist Lavigne in das nächste Fettnäpfchen getreten. Die Sängerin selbst schmettert die Rassismus-Vorwürfe ab: sie liebe das Land, ebenso wäre das Video selbst nur eine Liebeserklärung und hätte in Zusammenarbeit mit vielen japanischen Künstlern stattgefunden. Der Skandal um das Musikvideo ging so weit, dass sogar die japanische Botschaft in Washington sich auf Lavignes Seite schlug und ihr Recht gab. Das Video hätte sicherlich „nur gute Absichten“ verfolgt.
Zuletzt versuchte sich Pharrell Williams wieder an einem Videoclip, der Anime-Elemente enthielt. Im September 2014 wurde der Track „It Girl“ inklusive Video veröffentlicht. Zwar werden leicht bekleidete Mädchen dargestellt, die zweidimensional durchs Bild tanzen und in 8bit-Welten hüpfen, dennoch fühlt sich niemand angegriffen. Das Video beschäftigt sich zwar mit bekannten Elementen der japanischen Populärkultur, indem es Animes und Videospiele aufgreift, es werden dennoch keine negativen Klischees oder Stereotypen dargestellt.
Sicherlich haben alle genannten Künstler eine positive Verbindung zu Japan und dessen Kultur, es macht dennoch einen Unterschied, ob man seiner Begeisterung Ausdruck verleiht oder sich einfach nur selbst darstellen möchte. Geht man mit dem nötigen Respekt und Einfühlungsvermögen an die Sache, hat man auch mit keiner negativen Kritik zu rechnen.
Ich finde es immer wieder sehr interessant, wie weitrechend der Einfluss der japanischen Populärkultur und ihrer Klischees ist. Dass so viele berühmte Musikkünstler ein wenig Japan mit in ihre Arbeiten fließen lassen, wusste ich auch bisher noch gar nicht.
Natürlich ist es aber immer wieder schwierig, was die Klischees in solchen Arbeiten angeht. Gerade in der Unterhaltungsindustrie wird dann ja gerne mal etwas so hingebogen, dass es Massenwirksammer ist und sich besser verkauft. Solange es bei einer zu starken stereotypisierung aber noch Kritik hagelt, kann man das noch verkraften, denke ich. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt wie sich das ganze in Zukunft entwickeln wird und welche Künstler sich noch so alle an etwas „japanischem“ versuchen.
Auf jeden Fall ein sehr interessanter Artikel mit interessanten Einblicken!
Vielen Dank auch von mir – wenn auch spät – für diesen schönen Artikel, der eine gute Übersicht zum Thema bietet! Deutlich wird auch das Spektrum der kreativen Aufnahme japanischer Populärkultur: Während es für manche eher „Beiwerk“ zu sein scheint, kann man zum Beispiel bei „Daft Punkt“ ja eine richtige gleichberechtigte Zusammenarbeit mit dem Regisseur Matsumoto Reiji und der Produktionsfirma Toei feststellen.
Bezüglich des Abschnitts zu Avril Lavignes Hello Kitty Song
Ich war interessiert an den Vorwürfen bezüglich darüber, dass sie sich über die Japanische Kultur lustig machen würde und dennoch selbst betont hat, sie würde dieses Land lieben. Ich habe mir den Song daraufhin des öfteren anghört.
Hiermit möchte ich fragen: Wozu ist Musik da? Soll sie nicht Emotionen und Gefühle in den Menschen wecken? Also was mich betrifft weckt dieser Song gute Laune und ist einfach ein Ohrwurm. Und wer mal genau auf den Text achtet sollte feststellen, dass dieser hauptsächlich positiv ist. Auch im Video ahmt sie lediglich die Bewegungen der Tänzerinnen im Hintergrund nach, was ich (in Hinblick auf den Spiegeleffekt) ebenfalls nicht als negativ betrache.
Ich bin der Meinung es ist ein guter Song, der die individuelle Begeisterung an Japan zeigt. Und je nachdem welche Aspekte diese Landes einen am meisten verzaubern, soll man auch die Freiheit haben, diese Begeisterung so zum Ausdruck bringen zu dürfen, wie man es möchte.