Damals mit Marnie

omoidenomarnieNachdem im August dieses Jahres angekündigt wurde, dass das Produktionsstudio Ghibli in eine „Schaffenspause“ geht und sich zunächst nur noch auf die Vertreibung der bereits etablierten Marken kümmern wird, war klar: 思い出のマーニー (omoide no mānī, lit. „Erinnerung an Marnie“) wird vorerst Ghiblis letzter Animationsfilm sein.

Zu guter Letzt verzaubert Ghibli uns wieder und lässt uns an der wachsenden Freundschaft zwischen der zurückhaltenden Anna und der lebhaften Marnie teilhaben. Gemeinsam lernen alle einander besser kennen, doch bekanntlich muss alles zu einem Ende kommen, oder nicht?

Auch wenn die blonde Marnie titelgebend ist, wird den Film über die äußerlich robuste Anna begleitet. Anna lebt ein eher zurückgezogenes Leben in Tokio. Während um sie das aufregende und schnelle Stadtleben stattfindet, lebt Anna in ihrer eigenen Zeit und Welt. Viele Freunde hat sie nicht, beschäftigt sich in ihrer Freizeit lieber allein und zeichnet was um sie herum geschieht, statt aktiv daran teilzunehmen. Als sie jedoch ohne Vorzeichen kollabiert, diagnostiziert der Arzt einen schweren Asthmaanfall. Ihre Mutter schickt Anna über die Ferien aufs Land zu Verwandten, um sich dort an der frischen Luft zu erholen.

Kaum angekommen wird Anna direkt zu einem Dorffest geladen, wo sie die anderen Kinder der Umgebung kennenlernt, sich jedoch keine Freunde macht. Stattdessen konzentriert sie sich lieber weiterhin auf ihre Zeichnungen. Sie setzt sich an den nahegelegenen See, bis sie am anderen Ufer das eindrucksvolle Herrenhaus erblickt. Sie erhascht einen Blick in eines der vielen Fenster, das einzige Zimmer in dem noch Licht zu brennen scheint, und entdeckt dort das blonde Mädchen.

Schnell entwickelt sich eine Dynamik zwischen den beiden, die den Zuschauer einfach mitreißt. Die beiden blühen miteinander auf, vertrauen sich einander an. Während Anna immer weiter auftaut und eine soziale Bindung eingeht, erfährt man immer mehr von Marnie, deren Leben nicht so strahlend und rosig ist, wie es zunächst scheint. Eine tiefe Freundschaft entsteht zwischen den beiden, manche Stellen lassen sogar mehr vermuten. Ein Gefühl, welches Anna bisher verborgen blieb, sie nun aber nicht mehr missen mag. Doch der gemeinsamen Zeit ist ein Ende gesetzt, spätestens wenn Anna zurück nach Tokio kehrt. Wie wird die Freundschaft der beiden weitergehen?

Besonders der Titelsong zu „When Marnie was there“ (so der englische Titel), der Ghibli-typisch im Abspann abgespielt wird, beschreibt Annas Gefühlsleben und ihre Empfindungen zu Marnie sehr schön. „I never had that many friends growing up, so I learned to be okay with just me. […] Would you cry if I died? Would you remember my face?“ singt Priscilla Ahn, Interpretin des Titellieds. Ein Text der ebenso gut aus Annas Gedanken entsprungen sein könnte.

Studio Ghibli nimmt uns wieder mit auf eine fantastische Reise, diesmal unter der Führung von Hiromasa Yonebashi, der mit „Arietty“ sein Regiedebüt leistete. Die eingefangenen Stimmungen der beiden Filme lassen sich gut miteinander vergleichen. Man wird in einem seichten Fluss gefangen und lässt sich einfach mit der Geschichte treiben, die aus der Feder der  britische Autorin Joan G. Robinson stammt. Bereits gegen Ende der ’60er Jahre wurde mit „When Marnie was there“ die Romanvorlage veröffentlicht, welche im Deutschen den Titel „Damals mit Marnie“ trägt.

Die Reise von und mit Anna, die Erinnerungen an Marnie, die man nach Betrachten des Films in seinem Kopf hat, hinterlassen wie alle Ghiblis ein wohliges, warmes Gefühl zurück.

5 Gedanken zu „Damals mit Marnie

  1. Vielen Dank für die Filmvorstellung! Bis der Film hierzulande zu sehen sein wird, wird wahrscheinlich wieder einige Zeit ins Land gehen … mit Ihrer Rezension bekommt man einen guten Eindruck von der Atmosphäre des Films. Interessant ist auch, dass erneut eine Romanvorlage aus Großbrittanien gewählt wurde. Vor Arrietty war das ja auch schon bei „Das wandelnde Schloss“ der Fall.

    Auffällig ist, dass erstmals ein englischsprachiger Titelsong gewählt wurde! Offensichtlich richtet sich das Studio Ghibli auch mehr und mehr an sein globales Publikum.

    1. Ich bin selbst auch ein großer Fan der Romanreihe zu „Das wandelnde Schloss“, bei den Büchern gibt es ja noch zwei Fortsetzungen, die die Geschichte von Howl und Sophie weitererzählen.

      Eigentlich wollte ich die Romanvorlage diesmal gern vor Kinostart lesen, jedoch ist das Buch derzeit vergriffen, sodass es etwas überteuert ist. Aber im Februar erscheint eine Neuauflage, die ich bereits vorbestellt habe.

      Das Titellied zu „Arietty“ wurde sogar international übersetzt, sodass es verschiedene Fassungen gibt, die jedoch alle von der gleichen Interpretin eingesungen wurden 🙂

  2. Wenn Sie sich mit den Romanvorlagen auch schon befasst haben, wäre das vielleicht sogar ein Thema, das Sie weiterverfolgen könnten. In dem Buch „Fantasy Fiction into Film“ (http://www.amazon.de/Fantasy-Fiction-Into-Film-Essays/dp/0786430575) gibt es sogar schon einen entsprechenden Aufsatz für Howl’s Moving Castle. Und das scheint auch nicht der einzige zu sein: http://search.informit.com.au/documentSummary;dn=436114508904036;res=IELLCC

    1. Vielen Dank für die Hinweise, die Umsetzung von Romanvorlagen im Film fand ich schon immer interessant, da sich gerade auf viele Fans über solche Umsetzungen aufregen, die deren Meinung nach verpatzt wurden.

      Das Buch sieht wirklich interessant aus und hat es schon auf meine Wunschliste geschafft 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.