Was ist Pop?

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Flickr cc (with changes), Abhijay Achatz

Wie Pop ist Helene Fischer? Und zählen Ikebana und Teezeremonie in Japan zur Populärkultur?

In unserer ersten Seminarsitzung entstand eine lebhafte Diskussion darüber, was überhaupt zur Populärkultur gezählt werden kann und was daher Thema unseres Seminars (und Blogs) sein sollte. Leichter war die Frage danach, was das Seminar-Team interessiert: Anime, Manga, Cosplay und Videospiele stehen hoch im Kurs, ebenso Fernsehserien (terebi dorama), japanischer Horror, J-Pop, Idols und Visual Novels. Auch Boys‘ Love hat eine feste Anhängerschaft.

Aber reproduzieren wir damit nicht nur ein bestimmtes Bild von japanischer Populärkultur, das im Westen verbreitet ist? Durchaus, meinten einige Stimmen, und brachten auch noch andere populäre Bereiche der japanischen Kultur mit ein: Die Werke des Autors Murakami Haruki, Esskultur wie z.B. Bentô oder Râmen, Enka (japanische Schlager) oder beliebte Sportarten wie Baseball oder Fußball. Sogar Ikebana, die Teezeremonie oder Sammler bestimmter Schwerter kamen zur Sprache – wozu aber der Einwurf kam, dass in Japan nur sehr wenige Menschen derartige Hobbys haben. Eher handele es sich dabei um populäre Bilder von Japan, die im Westen sehr verbreitet sind.

„Schlager – das ist doch keine Populärkultur!“, lautete ein anderer Einwand.

Wie kann man nun Populärkultur definieren? John Storey fasst in seinem Buch „Cultural Theory and Popular Culture: An Introduction“ sechs Möglichkeiten zusammen, Populärkultur zu definieren, die sich in bisherigen theoretischen Ansätzen finden lassen:

1. Populärkultur als Kultur, die weit verbreitet ist und von sehr vielen Menschen bevorzugt wird – also ein quantitativer Definitionsansatz. Problem: Diese Definition ist sehr breit und es ist unklar, wo die Grenzen verlaufen. Dennoch: Quantität spielt bei Populärkultur eine Rolle, das bedingt die Bezeichnung populär.

2.  Definition von Populärkultur in Abgrenzung von einer „Hochkultur“. Problem: Diese Art der Definition beinhaltet das Vorurteil, Populärkultur sei „minderwertigere“ Kultur. Die Kategorisierung von verschiedenen Ebenen von Kultur fördert eine Mehrklassengesellschaft. Und wer bestimmt, was „Hochkultur“ ist?
Häufig kommt hier das Argument, Populärkultur sei in Massen produzierte kommerzielle Kultur, während Hochkultur in individuellen künstlerischen Akten entstehe. Storey verdeutlicht in seinem Buch, dass es auch eine solche Differenzierung häufig nicht funktioniert, wie zum Beispiel die Popularität und kommerzielle Ausrichtung von Opernstars wie Luciano Pavarotti verdeutlichen.

3.  Populärkultur als kommerzielle „Massenkultur“, die ihr passives Publikum „melkt“. Diese Definition wird nicht nur in den Fan Studies mittlerweile sehr stark kritisiert, weil sie den Rezipierenden keine eigene Entscheidungs- und Handlungsmacht zugesteht.

4. Populärkultur als Kultur „des Volkes“. Diese Richtung definiert nur solche Kultur als Populärkultur, die vom „Volk“ für das „Volk“ geschaffen wird. Problem dieser romantisierenden Definition ist nicht nur, wer das „Volk“ ist, sondern auch, dass diese Definition kommerzielle kulturelle Angebote ausschließt und somit einen äußerst verengten Begriff von Populärkultur hat.

5. Populärkultur als ein Bereich des Austauschs und des Verhandelns zwischen dominanten und untergeordneten gesellschaftlichen Gruppen. Diese theoretische Sicht auf Populärkultur besagt, dass immer wieder neu verhandelt wird, was populär ist, was von Rezipierenden aufgenommen wird und wogegen Widerstände entstehen. Wie auch jemand im Seminar angemerkt hat: Es ist besonders spannend zu verfolgen, wie sich mit der Zeit verändert, was populär ist.

6. Weitere Theorien beschäftigen sich mit der Postmoderne und halten fest, dass durch dieselbe die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur obsolet geworden sei.

Es wird deutlich, dass ein Begriff wie Populärkultur nicht fest ist, sondern in Diskursen immer wieder neu mit Zuschreibungen versehen wird. Und wenn wir in unserem Seminar bestimmte Dinge unter diesen Begriff einordnen, beteiligen wir uns selbst an der Ausformung des Begriffes. Ein Fazit von Storey ist, dass gerade die in einer Definition implizite Abgrenzung von anderen „Kulturen“ sehr problematisch ist:

„A great deal of difficulty arises from the absent other which always haunts any definition we might use. It is never enough to speak of popular culture; we have always to acknowledge that with which it is being contrasted. And whichever of popular culture’s others we employ – mass culture, high culture, working-class culture, folk culture etc. – it will carry into the definition of popular culture a specific theoretical and political infliction.“ (Storey 2014: 13)

Und was ist jetzt mit Helene Fischer? Während Definition 1 fasziniert auf die Verkaufszahlen schielt, schaut 2 aus ihrer Opernloge auf Helene herab, 3 ist genervt von ihrer Omnipräsenz, 4  kann als Angehöriger des örtlichen Blasmusikvereins nur die Nase rümpfen, 5 beobachtet gespannt, wie Teenies, Manager und Rentner gleichermaßen „Atemlos“ grölen und 6 hat sie schon längst in seiner Playlist, neben David Bowie und John Cage.

Oder was meinen Sie?

 

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